Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Bericht zur 195. Montagsdemonstration vom 08.09.2008aha in Zeitz


Zur heutigen 195. Montagsdemonstration in Zeitz erschienen 45 Personen, um wieder gemeinsam gegen Hartz-IV und gegen Sozialabbau zu protestieren.

Folgende Redner sprachen auf der Kundgebung:



Steffen Hemberger setzte sich mit den unverschämten und empörenden Feststellungen zweier so genannter Wirtschaftswissenschaftler der TU Chemnitz auseinander, denen zufolge der ALG-II-Regelsatz von 351 €/Monat "zu hoch" ist, und man schon mit 132 €/Monat "gut leben" kann.

Sie "berechneten" für eine Person 68 €/Monat für Nahrungsmittel. Dies sei für eine ausreichende, gesunde und abwechslungsreiche Ernährung nach den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausreichend. Sie empfehlen den Betroffenen, die

"Tafeln" mit zu nutzen. Vor welcher Situation werden wohl die "Tafeln" stehen, wenn jetzt 5 Millionen Hartz-IV-Betroffene unterstützt werden möchten? Derzeit gehen nur etwa 10 % bis 15 % der Betroffenen zu den "Tafeln" und bilden dort schon jetzt riesige Menschenschlangen. Die Studienverfasser erklärten weiterhin: "Die üppige Ausstattung des Hartz-IV-Regelsatzes für Nahrungsmittel ist mit den Zielen der Sozialhilfe insoweit nicht erklärbar." Für Getränke sei keine Ausgabe vorzusehen, da man ja auch Leitungswasser trinken könne.

Doch setzten sie noch eins drauf: Für Bekleidung und Schuhe seien 17 €/Monat ausreichend, wenn man nur bei Billiganbietern kaufte. Sozialhilfeempfänger sollten auch das unglaublich große Angebot von Gebrauchtmöbeln nutzen, die sogar in großer Menge kostenlos abgegeben würden. Wo gibt’s kostenlose Möbel? Selbst in karitativen Einrichtungen ist für Gebrauchtmöbel ein gewisser Obolus fällig. Die Kosten für Versicherungen kann man sich nach den Aussagen dieser angeblichen Wirtschaftsexperten auch sparen, denn für Gebrauchtmöbel braucht man keine Hausratversicherung. Man kann sich doch jederzeit wieder andere "kostenlose Möbel" holen, wenn die Einrichtung z. B. ein Raub der Flammen werden sollte. Für Kommunikation und Unterhaltung seien nur ein Fernseher und eine Jahreskarte für eine Bibliothek nötig. "Auch mit wenig Geld kann man ein geselliges, gesellschaftsbezogenes Leben führen"; so gebe es in der Bibliothek kostenfreien Zugang zu Zeitungen, Büchern und Internet.

Fazit: Wir alle - und nicht nur Hartz-IV-Betroffene - mussten in den letzten 3 Jahren und 8 Monaten (in denen es Hartz-IV gibt) schon so manchen Blödsinn hören oder lesen. Das war aber nun der bislang größte Quatsch.

Auf jeden Fall hat der Unsinn aber Aufsehen verursacht. Selbst Bundeskanzlerin Merkel hat diese "Studie" als unakzeptabel abgewiesen. Man kann es aber nicht als Scherz abtun, denn diese "Experten" meinen ihre Aussagen ernst! An deren Verlautbarungen können Sie ermessen, wie notwendig unser Widerstand ist. Auch weiterhin müssen wir jeden Montag hier stehen, um solchen Leuten etwas entgegen zu setzen.

Ein weiterer Redeteil behandelte den Abzug der Warmwasserkosten von der Leistung für ALG-II.



Wolfgang Vogl äußerte sich ebenfalls zu der Studie der Chemnitzer "Experten". Sie ist purer Blödsinn, aber kein Zufall. Sie reiht sich jedenfalls bestens in die derzeitige Kampagne gegen Hartz-IV-Betroffene ein. Der blödsinnige, aber bösartige Inhalt hat Methode und Ziel. Man denke nur an die Sendungen auf SAT.1 oder an die Beiträge in der BILD-Zeitung. Da wird der Eindruck erweckt, die Hartz-IV-Betroffenen seien überwiegend Sozialbetrüger und Parasiten. Diese Bewertung trifft aber auf ganz andere zu, nämlich die Urheber und Nutznießer dieser Sachverhalte. Anscheinend steht uns aber wieder 'mal eine Verschärfung sozialer Bedingungen und insbesondere der Hartz-IV-Situation bevor. Offenbar sind weitere Kürzungen und Verschlechterungen vorgesehen und werden derzeit psychologisch vorbereitet. Dazu ist es halt notwendig, die Bevölkerung zu entzweien. Das ist der Sinn und Zweck solcher Kampagnen. Da stellt sich auch sofort die Frage: Wer hat die Studie der beiden Herren denn eigentlich finanziert? Zwar wird diese Universität aus Steuergeldern finanziert, aber wer steckt wirklich hinter dieser Studie? Ich möchte doch wetten, dass dahinter die Wirtschaftslobby steht. Und wer bestimmt hauptsächlich über die Verwendung von Steuermitteln?

Ein weiteres Thema war eine andere Studie - diesmal einer Stiftung - zur Rentenpolitik. Darin wird das auf dem Solidarprinzip beruhende Rentensystem als uneffektiv und unprofitabel bezeichnet. Im Stiftungsrat sitzen "zufällig" Vertreter der Deutschen Bank. Und die wollen natürlich Profit machen. Sie wollen die bankgebundenen Altersvorsorgeverträge verkaufen und deshalb werden solche Studien fabriziert und die Massen desorientiert.

Fazit: Man muss sich immer fragen, wer hinter solchen Studien und Kampagnen steckt, wer sie finanziert hat und vor allem, wem sie nutzen.

Weiterhin ging es im Redebeitrag um Beschimpfungen durch einzelne Bürger während unserer Unterschriftenaktionen und um den Kriegseinsatz in Afghanistan.



Dieter Rolle sprach ebenfalls über die Studie der Chemnitzer "Wissenschaftler". Wem nützt das? Eindeutig stecken dahinter Interessen der Wirtschaft und ähnlicher Nutznießer. Was halten diese Wirtschaftswissenschaftler eigentlich vom Menschenrecht auf Arbeit? Warum wird nicht angeprangert:
  • dass nach wie vor offiziell 3,2 Millionen Menschen arbeitslos sind?
  • dass es über 7 Millionen Hartz-IV-Betroffene gibt?
  • dass bereits 2 Millionen Vollbeschäftigte zusätzlich zu ihrem "Lohn" eine Unterstützung benötigen?
  • dass Hunderttausende mit 1-Euro-Jobs abgefertigt werden und dafür Menschen ihren Vollzeitarbeitsplatz verlieren?
  • dass etwa 700.000 Menschen zu erniedrigenden Bedingungen wie "Leiharbeit" arbeiten müssen?
Was halten diese Tatsachenverdreher vom Artikel 1 des Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen unantastbar sein soll? Soll im Volk Stimmung gegen Hartz-IV-Betroffene gemacht werden, wo doch generell die Lebenshaltungskosten und andere Preise ständig steigen?

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan war ein weiteres Thema. So wurde er von Befehlshabern offiziell als Kriegseinsatz gegen "einem zu allem entschlossenen Feind" bezeichnet. Eine solche Wortwahl hat man zuletzt vor einigen Jahrzehnten vernommen. Es wurde auch korrigiert, dass der unlängst getötete Bundeswehrsoldat nicht umgebracht wurde, sondern "gefallen" ist. Da fehlt vielleicht nur noch der Zusatz "auf dem Feld der Ehre, für Kanzlerin, Volk und Vaterland"?

Minister Jung bezeichnete Diskussionen um den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan als unakzeptabel, denn sie würden nur den Taliban Vorschub leisten. Die Antwort auf diese Kriegsmanipulation sollten wir am 20.09.2008 mit unserer Teilnahme an den Großdemos in Berlin und Stuttgart gegen den Afghanistankrieg geben.

Am 01.09.2008 war der Weltfriedenstag. Angesichts dessen muss unbedingt etwas zur Kriegsproblematik gesagt werden. Die Hoffnung hat sich nicht bestätigt, der 2. Weltkrieg möge der letzte Krieg gewesen sein. Seitdem wurden bis in die heutige Zeit weltweit furchtbare Kriege entfesselt. Krieg ist wieder zum Alltag geworden! Deutschland ist dabei Spitzenverdiener im Geschäft mit dem Tod. Kriegsmaterial ist der "Schlager" im Exportboom. Die Soldaten werden zu Verbündeten gemacht, indem ihnen eine Idylle vorgegaukelt wird. Altkanzler Schmidt sagte ihnen, die Bundesrepublik sei ein ganz anderer Staat geworden, ganz anders als zu Kaisers Zeiten, zu Zeiten der Weimarer Republik und zu Zeiten des Naziregimes. Angesichts der Pläne für den Inlandseinsatz der Bundeswehr wird man tatsächlich an die Zeiten Kaiser Wilhelms erinnert, der von seinen Rekruten verlangte, gegebenenfalls auf Vater, Mutter oder Bruder zu schießen. Diese Dinge sollten wir sehr aufmerksam verfolgen.



Ein Redner aus dem Publikum kommentierte widersprüchliche Aussagen verschiedener Arbeitsagenturen über die Armutsgrenzen.



Michael Blöth redete für längere Zeit heute das letzte Mal auf der Zeitzer Montagsdemo, da sein Urlaub endet. Er sprach zunächst über die Rentenpolitik und die Pläne zur Rentenprivatisierung. In Chile wurde das schon einmal umgesetzt. Am Ende blieben aber viele Rentenberechtigte ohne Altersvorsorge, weil die Firmen nämlich Pleite gingen. Dort wie hier in Deutschland ging und geht es um Profitmaximierung. Das sind auch die Ziele der Deutschen Bank.

Dann ging er nochmals auf den Abzug der Warmwasserkosten vom Regelsatz ein. Dazu gibt es eine eindeutige rechtliche Formulierung.

Es gibt jedoch keine konkrete Aufsummierung einzelner Posten, denn der Betrag des Regelsatzes ist eine Pauschale. Es werden aber dementgegen jetzt nachträglich Einzelpositionen in den Regelsatz hineininterpretiert, nur um hier und da Abzüge vornehmen zu können. Hier sollte der ORTZ einhaken und darauf bestehen, dass der Gesetzgeber ganz bewusst eine Pauschale eingeführt hat. Denn es sollte pauschaliert – also ohne Einzelbetragsnachweis - geregelt werden, um Verwaltungsaufwand zu mindern und alles überschaubar zu halten. Das aber erlaubt im Umkehrschluss dem ALG-II-Empfänger die selbstbestimmte Mittelverwendung. Das bewerten auch viele Juristen so.

Eines unserer vorrangigen Ziele sollte sein, wieder mehr Menschen zur Demo zu bewegen um wieder demonstrieren zu können. Damit wir den Menschen in den Straßen zeigen können, dass es uns noch gibt. Denn wir müssen Aufklärungsarbeit leisten, im Osten wie im Westen.



Steffen Hemberger gratulierte in seinem Schlußwort Johannes Krause zum Geburtstag.

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