Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 1 + Nr. 08 + 24. August 2009

Druckversion(Download als PDF, beidseitig bedrucktes Faltblatt.)

«   Journal für soziale und politische Themen   »
Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Skandal-Kündigung bei Weiterbildungsinstitut "future gGmbH"
  2. Die Armutsindustrie
  3. Rechtsstaat BRD? - Unrechtsstaat DDR? Teil 3:
  4. Wofür sich ehemalige DDR-Bürger "schämen" sollten

Skandal-Kündigung bei Weiterbildungsinstitut "future gGmbH"

Einer hochschwangeren Frau mit bis zum 31.8.2009 gültigem Arbeitsvertrag (ABM, bei der Niederlassung Naumburg) wurde vom Geschäftsführer der future gGmbH Herrn Günter Peter zum 30.6.2009 gekündigt. Ungeachtet des für Schwangere geltenden Kündigungsschutzes und ohne die Betroffene selbst zu verständigen!!! Die werdende Mutter erfuhr alles erst, als sie jetzt bei ihrer Krankenkasse einen Antrag auf Mutterschaftsgeld stellte und schockiert vernahm, sie stünde seit 30.6. nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis. Der Geschäftsführer Peter behauptete dreist, die ARGE habe ihn schriftlich über ihr Ausscheiden aus der Maßnahme zum 30.6. informiert. Sowohl die Betroffene als auch die ARGE wurden hierbei von Herrn Peter irregeführt, denn beide Seiten wussten nichts davon. Anlässlich eines von der ARGE anberaumten Gesprächs wurde Geschäftsführer Peter nochmals eindringlich über seine Pflichten als Arbeitgeber belehrt. Aufgrund des massiven Drucks durch die Betroffene, die zuständige Krankenkasse, das zuständige Gewerbeaufsichtsamt und durch die ARGE sicherte Herr Peter nunmehr die Einhaltung der arbeitsvertraglichen Pflichten fernmündlich zu.

Future will eine gemeinnützige GmbH sein? Angesichts dieses Vorfalls ist überprüfungsbedürftig, ob von Gemeinnützigkeit die Rede sein kann. Gemein sicherlich, aber gemeinnützig?

Interessant ist auch, Herr Peter ist Mitglied im Lokalen Netzwerk für Familie im "Bündnis für Innovation, Wirtschaft und Arbeit im Burgenlandkreis" [Info]. Dessen Zielsetzung: Unter anderem "familienfreundliche Personalpolitik und Infrastruktur" und "mehr Familienbildung"! Das Gründungsmitglied Harry Reiche sollte nach der hier betriebenen Personalpolitik befragt werden! Es ist empörend!

Die Armutsindustrie

Unlängst zeigte das Fernsehen eine Dokumentation unter dem Titel "Die Armutsindustrie". Sie zeigte, "wie aus dem Mangel an Arbeit ein Geschäft geworden ist". Das Fazit lautet: Die Maßnahmen nützen kaum den Betroffenen, sondern sind vor allem verdeckte Subventionen für Privatunternehmen. So werden pro Jahr 7 Milliarden € an Lohnkostenzuschüssen aus Steuermitteln verteilt. Das ist natürlich sehr lukrativ. Es erhält z. B. die Beschäftigungsgesellschaft "Neue Arbeit" 12 € pro Stunde für jeden der bis zu 1.600 Langzeitarbeitslosen, die sie vermittelt. Ihr wisst selbst, wieviel die Betroffenen davon erhalten. Die "Neue Arbeit" gehört zur evangelischen Kirche und gilt als gemeinnützig - die Voraussetzung für eine öffentliche Finanzierung. Dabei "dürfen" die Arbeitslosen "Gemüseschnippelkurse" durchlaufen, bzw. müssen bei Stadträten oder Rechtsanwälten putzen. Diese vorgebliche Gemeinnützigkeit führt jedoch als Billig-Konkurrenz zum Abbau regulärer Beschäftigung.

Auch Dekra erhält 60 Millionen € jährlich für zweifelhafte Weiterbildungsmaßnahmen. Oder es werden von 65 1-€-Jobbern z. B. gespendete Puzzlespiele auf Vollständigkeit überprüft. Das hättet Ihr sehen sollen.

Als roter Faden wird immer wieder in diesem Bericht eine Kontrolle und Disziplinierung mittels staatlicher "Sozialpolitik" erkennbar. Es ist wie im 19. Jahrhundert, als in Arbeitshäusern Menschen diszipliniert wurden, für welche die Ausbeutergesellschaft keinen ordentlichen Platz übrig hatte. Man könnte auch von Aufbewahrungsschleife sprechen, aus der ein Entkommen nur um den Preis einer Kürzung oder Streichung des ALG II möglich ist. Oder durch Anstellung auf dem 1. Arbeitsmarkt, der jedoch weiter denn je entfernt scheint. Angenehmer statistischer Nebeneffekt ist dabei, dass so bis zu 1,6 Millionen Arbeitslose aus der Statistik verschwinden.

Ein 51-jähriger Kraftfahrer mit Frau und 4 Kindern wird als ein weiteres Beispiel dargestellt. Er hat noch ein Problem: Er hat nie richtig Schreiben gelernt. Anstatt ihm einen Schreibkurs zu ermöglichen, muss er in einem Lager als Praktikant Kartons packen. "Was gibt es dabei zu lernen?" fragt er berechtigt. Sinnvoll ist das nur für den Arbeitgeber. Der "spart" Sozialbeiträge und Lohnkosten. Zum schlechten Schluss erhält der Mann ein neues Arbeitsangebot: Bei einer Firma, welche ihn unmittelbar zuvor auf seine eigene Bewerbung hin antwortete, sie stelle niemanden ein. Bei staatlichen Lohnzuschüssen greift sie natürlich nun zu! Für ihn - ohne Aussicht auf eine reguläre Anschlussbeschäftigung - ein 12-Monate-Job.

"Arbeitgeber fragen gerne nach Zuschüssen" erklärt ihm dazu seine Bearbeiterin aus dem Jobcenter. In dieser Dokumentation wird durch staatliche Zwangsmaßnahmen bewirkte Billigarbeit immerhin noch als Glücksfall für den viel beschworenen Standort Ost bezeichnet. Reguläre Beschäftigungsverhältnisse - so antwortete ein Firmenchef auf eine Frage - dafür sei er nicht kompetent genug.

Hier kann nur unterstrichen werden: Das ist Kapitalismus pur; Ausbeutung, Profit so hoch wie nur möglich.

Rechtsstaat BRD? - Unrechtsstaat DDR?
Teil 3

Heute - am 5. Jahrestag des Bestehens der Montagsproteste gegen Hartz-IV, Sozial- und Demokratieabbau in Zeitz - präsentieren wir euch einen ironischen Text über die gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der DDR, passend zur Unrechtsstaat-Debatte.

Wofür sich ehemalige DDR-Bürger "schämen" sollten

Es gab nicht das ganze Jahr über Bananen und Apfelsinen. Zugleich war die Bevölkerung gezwungen, auf Grund jahrzehntelang stabiler Preise für Grundnahrungsmittel und Waren des täglichen Bedarfs auf spannende Preisvergleiche zu verzichten.

Es gab viel zu wenig Autos. Die Menschen mußten sich 20 Pfennig vom Munde absparen, um mit Tram, Bus, S-Bahn oder U-Bahn zu fahren.

Die DDR war ein Unrechtsstaat. Sie besaß eine Institution, die sonst in keinem zivilisierten Land auf der Welt existiert: einen Geheimdienst. Der Akzent liegt auf dem Wort einen, hat doch jede vernünftige Demokratie - von Israel über die USA bis zur BRD - gleich mehrere davon.

Es gab keine Reisefreiheit. Kein Ein-Euro-Jobber (nicht mal einen vermochte man vorzuweisen) konnte - wie heute - problemlos drei- oder viermal im Jahr an die Südsee fliegen.

Post und Eisenbahn, Wasser- und Stromversorgung seit Ewigkeiten in Staatshand wurden um die Vorzüge der Privatisierung betrogen.

Man blockierte die freie Arbeitsplatzwahl, indem man eine Mauer errichtete, um im Osten ausgebildete Fachkräfte daran zu hindern, im Westen für die Kapitalisten tätig zu sein.

Weder Arbeitslose noch Obdachlose, weder Bettler noch hungernde Kinder sorgten für Abwechslung im Straßenbild.

Das Verhältnis zu Ausländern war ungesund gut. Den eigenen Leuten wurde einfach nicht gestattet, ihre nationale Überlegenheit auszuspielen.

Es mangelte an Gewaltverbrechern aller Art, weshalb in Kriminalfilmen nur langweilige "Normaldelikte" gezeigt werden mußten.

Auch die Freiheit für Kinder und Heranwachsende war drastisch eingeschränkt. In bedauerlicherweise flächendeckend vorhandenen Krippen und Kindergärten wurden die Kleinen gezwungen, ihre Notdurft kollektiv zu verrichten.

Man vergällte Halbwüchsigen mit kostenlosen Zirkeln und Arbeitsgemeinschaften den Spaß an der Langeweile und am Herumlungern.

Es gebrach der DDR an der notwendigen Beschränkung der Frauen auf die bewährten drei Ks: Küche, Kirche, Kinder.

Die Gleichberechtigung wurde drastisch übertrieben. Es gab keine föderale Bildungsvielfalt, bei der jeder Bezirk (heute Bundesland) über ein eigenes Schulsystem verfügt. Da es an reichen Eltern fehlte, mußte auch auf Privatschulen verzichtet werden. Noch schlimmer: Kinder von Arbeitern und Bauern hatten sogar Vorteile bei der Platzvergabe.

Es bestanden nur kümmerliche drei Krankenkassen. Heute weiß man, daß Deutschland mindestens 250 Einrichtungen dieser Art mit entsprechenden Gebäuden, Vorständen, Aufsichtsräten und anderen Attributen braucht.

Zur Gartenpflege oder anderen persönlichen Aufgaben mußte man den gesamten "SVKUrlaub" in Anspruch nehmen. Er stand jedem Arbeitenden zu und betrug sechs Wochen.

Ein Zwei- oder Drei-Klassen-Gesundheitswesen war leider völlig unbekannt. Beim Arzt wurde kein Eintrittsgeld erhoben. Zuzahlungen für Medikamente oder Kostenerstattung bei Zahnersatz wurden den Bürgern verwehrt.

Besonders empörend war die flache Einkommenspyramide. Selbst ein Minister verdiente höchstens das Fünffache eines guten Facharbeiters. Und das bei wesentlich längerer Arbeitszeit. Er mußte 20 % Lohnsteuer abführen, während sie für einen Arbeiter nur 5 % betrug.

Infolge der indiskutabel niedrigen Mieten - sie betrugen maximal 10 % des Einkommens einer Familie - herrschte lange Zeit Wohnungsmangel. Die Möglichkeit, eine Luxusvilla in vorzüglicher Lage (und, versteht sich, zu entsprechendem Preis) zu erwerben oder zu beziehen, beschränkte der Unrechtsstaat auf Spitzenkünstler.

Die Bevölkerung wurde gezwungen, im Haushalt auf Wegwerfgeräte zu verzichten und statt dessen langlebige Industriegüter zu erwerben.

Knapp ein halbes Jahrhundert hinderte man deutsche Soldaten daran, im scharfen Einsatz und möglichst weit vom eigenen Land entfernt ihre kriegerischen Talente zu erproben.

Besonders verwerflich war die Teilnahme der DDR als unsichtbarer Dritter am Verhandlungstisch bei Tarifkonflikten in der alten Bundesrepublik.

Der deutsche Unrechtsstaat besaß - im Unterschied zum deutschen Rechts-Staat viel zu wenig Einwohner. Er stellte nur 5 % der Bevölkerung des "Ostblocks" und nicht mal 0,03 % der Weltbevölkerung.

Als gravierendes Manko für die Demokratie erwies sich das völlige Fehlen von Listenwahlen. So konnte sich der Bürger nicht zwischen der List der verschiedenen Listen frei entscheiden.

Besonders übel war die Einführung des berüchtigten Plebiszits, mit dem die neue Verfassung der DDR durch allgemeine Volksbefragung 1968 bestätigt wurde. In der BRD ist ein solcher Mißbrauch der Demokratie grundgesetzlich ausgeschlossen .

Als größtes Defizit aber wirkte sich die Tatsache aus, daß man es nicht verstand, allen Bewohnern der DDR die hier geschilderten gravierenden Mißstände nachhaltig ins Bewußtsein zu heben.

Sich dafür zu entschuldigen, besteht jeglicher Anlaß.

Dr.-Ing. Peter Tichauer



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ




Copyright by ORTZ

Startseite