Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 1 + Nr. 09 + 16. September 2009

Druckversion(Download als PDF, beidseitig bedrucktes Faltblatt.)

«   Journal für soziale und politische Themen   »
Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Armut per Gesetz - Geringverdiener können sich keine Krankenversicherung mehr leisten
  2. Rechtsstaat BRD? - Unrechtsstaat DDR? - Teil 4.1: Klassenjustiz konträr. DDR-BRD-Vergleich: Unrecht im Rechtsstaat - Recht im Unrechtsstaat
  3. 5 Jahre Montagsdemo Zeitz - Ein Bericht

Armut per Gesetz
Geringverdiener können sich keine Krankenversicherung mehr leisten

Wenn Gesundheitsministerin Schmidt ihre Verdienste um das deutsche Gesundheitswesen aufzählt, führt sie gern auch die Vorschrift an, die mit der letzten Gesundheitsreform in Kraft trat und die besagt, dass jeder Mensch eine Krankenversicherung braucht; vernichtend sind jedoch die Fakten. Schmidts Vorzeigeprojekt verändert tatsächlich das Sozialwesen in seinen Grundzügen - nur anders als von der Ministerin behauptet: Die Zahl derer steigt rasant an, die sich keine Krankenversicherung leisten können.

Betroffen sind vor allem Freiberufler und Kleingewerbetreibende, die bei einer privaten Krankenkasse versichert sind. Viele von ihnen haben große Probleme, die oft deutlich über Kassenniveau liegende Prämien bei den Privatversicherungen zu bezahlen. Früher konnten "gescheiterte" Selbstständige unter bestimmten Voraussetzungen in die gesetzliche Krankenkasse wechseln. Diese Möglichkeit ist seit 2009 erschwert worden. Verarmte Ex-Unternehmer müssen selbst dann bei ihrer "Privaten" bleiben, wenn sie auf das Niveau von Alg II gesunken sind. Was die Koalition von CDU und SPD nicht bedacht hat war die Frage, von was die Betroffenen ihre Beiträge bezahlen sollen. Denn während in der GKV sich der Beitrag am Einkommen orientiert, muss in der PKV mindestens der Basistarif gezahlt werden, mit dramatischen Folgen.

Ein ehemaliger Unternehmer, der Alg II bezieht, bekommt 359 € Regelleistung im Monat und die Miete. Der Basistarif seiner PKV liegt bei 569,63 €/Monat. Auf diesen Preis bekommt er als Empfänger von Alg II einen gesetzlich festgelegten Rabatt von 50%; es bleibt ein Betrag von 284,82 €/Monat. Die Arbeitsagentur erstattet jedoch nur 129,54 € - das entspricht exakt dem Betrag, den das Amt bezahlen würde, wäre er Mitglied einer GKV.

Unterm Strich ist der Betroffene also gezwungen, jeden Monat 155,28 € aus eigener Tasche zuzuschießen - über 43% seiner Regelleistung. Die Beitragslücke führt dazu, dass zahlreiche Betroffene noch immer keinen Krankenversicherungsschutz haben, obwohl sie laut Gesetz dazu verpflichtet sind. Weil sie die Beiträge ohnehin nicht bezahlen können, bleiben sie in Deckung und hoffen darauf, nicht ernstlich zu erkranken.

Mittlerweile ist das Problem auch bei einigen mitverantwortlichen Politikern angekommen. Als Gesundheitsexperte Spieth von der Links-Partei das Thema im Bundestag thematisierte, wollte seiner Kritik niemand widersprechen. SPD- Politiker Lauterbach bestätigte eine "Regelungslücke", CSU-Sozialexperte Straubinger sprach von "Ungereimtheiten im Gesetz". Eine Änderung sei jedoch erst in der nächsten Legislaturperiode möglich, so das Ministerium. Für die Betroffenen dürfte es dann zu spät sein, sie stehen vor der Privatinsolvenz.

Rechtsstaat BRD? - Unrechtsstaat DDR?
Teil 4.1: Klassenjustiz konträr
DDR-BRD-Vergleich: Unrecht im Rechtsstaat - Recht im Unrechtsstaat

Von Friedrich Wolff

Die BRD ist ein Rechtsstaat, daran zweifelt niemand. Das ist ein Dogma. Die DDR war ein Unrechtsstaat. Daran zweifeln wenige. Das ist auch ein Dogma - für die öffentliche Meinung. Wer daran rührt, verhöhnt die Opfer. Was die Begriffe »Rechtsstaat« und »Unrechtsstaat« wirklich bedeuten, wissen nur wenige.

»Unrechtsstaat« ist entgegen dem Anschein kein Rechtsbegriff. Er kommt in keinem Rechtslexikon vor, ist nicht definiert. Man verwendet ihn nach Bedarf in der politischen Auseinandersetzung. Die DDR erhielt dieses Etikett; die Türkei, der Iran, die USA und Südafrika zur Zeit der Apartheid natürlich nicht. Auch Wikipedia sagt: »Bei dem Begriff ›Unrechtsstaat‹ handelt es sich nicht um einen juristischen, sondern einen politischen Begriff.« Goethe läßt grüßen: »Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen; / Denn eben wo Begriffe fehlen, / Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. / Mit Worten läßt sich trefflich streiten, / Mit Worten ein System bereiten, / An Worte läßt sich trefflich glauben, / Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.«

Die BRD ist natürlich ein Rechtsstaat. Das steht im Grundgesetz, nicht direkt, aber es wird aus ihm entnommen, es wird so ausgelegt, definiert ist dieser Begriff auch dort nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat deswegen von der »Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatprinzips« gesprochen.1

Der Bürger meint, ein Rechtsstaat sei ein Staat, in dem es gerecht zugeht. Das ist ein Irrtum, so soll der Begriff nicht verstanden werden. Der Münchner Rechtswissenschaftler Uwe Wesel schreibt: »Was ein Rechtsstaat ist, läßt sich schwer in einem Satz beschreiben.« Zur Erläuterung fügte er hinzu: »Am Anfang der siebziger Jahre tröstete sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Kommentar zur Apartheid in Südafrika damit, daß wenigstens alles streng rechtsstaatlich vor sich gehe.«2 Ein Durchschnittsbürger käme wohl nicht darauf, die Apartheid für rechtsstaatlich zu halten. Für einen Politiker ist es dagegen klar: Mein Freund ist ein Rechtsstaat, mein Feind ein Unrechtsstaat.

Verurteilung Unschuldiger

Alle wissen: In der DDR wurden Unschuldige verurteilt, wurde gefoltert und zwangsadoptiert. In Hohenschönhausen ist der Tatort, die zentrale Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit, zu besichtigen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihn auch besucht, spät, doch eben noch rechtzeitig, in Zeiten der Weltwirtschaftskrise. Merkwürdig nur, daß kein DDR-Bürger wegen dieser Folter und diesen Zwangsadoptionen verurteilt wurde. Die Gedenkstätte tritt an die Stelle von rechtsstaatlichen Beweisen. Der Kundige weiß das, und er weiß: Nur zirka 300 Personen wurden laut Generalstaatsanwalt a. D. Christoph Schaefgen wegen des von ihnen in der DDR begangenen Unrechts verurteilt. Nach den Professoren der Humboldt-Universität Klaus Marxen und Gerhard Werle waren es 289. Doch, wie viele sind kundig?

Unschuldige wurden allerdings nicht nur im Unrechtsstaat DDR verurteilt. Denken wir an Homosexuelle. Für ihre sexuelle Veranlagung tragen sie - wie man heute weiß und schon längst hätte wissen können - keine Schuld. Einer der tragenden Grundsätze des Strafrechts, also auch des Rechtsstaats, lautet: nulla poena sine lege, keine Strafe ohne Schuld. Dennoch wurden in der Bundesrepublik zwischen 1950 und 1969 mehr als 100000 Ermittlungsverfahren wegen Homosexualität eingeleitet, die zu etwa 50000 rechtskräftigen Verurteilungen führten. Während durch das Gesetz vom 23. Juli 2002 die Urteile gegen Homosexuelle aus der Nazizeit für nichtig erklärt wurden, tastete der Bundestag die auf derselben Rechtsgrundlage in der BRD ergangenen Urteile nicht an. Im Unrechtsstaat wurde seit 1957 Homosexualität nicht mehr bestraft. In der BRD kam es dagegen von 1958 bis 1968 noch zu 31968 Verurteilungen Unschuldiger.3

Die unschuldig Verurteilten in der DDR waren Gegner des dortigen realen Sozialismus. In der BRD gab es ebenfalls Menschen, die die dort bestehende Ordnung, den realen Kapitalismus, nicht mochten. Von 1949 bis 1968 verfolgte die politische Justiz geschätzte 125000 Kommunisten oder solche, die dafür gehalten wurden, und geschätzte 6000 von ihnen verurteilte sie. So berichten Diether Posser und Alexander von Brünneck. Amtliche Zahlen gibt es nicht. Professor Werner Maihofer, der von 1972 bis 1974 Bundesminister für besondere Aufgaben und von 1974 bis 1978 Bundesinnenminister war, erklärte, »daß die Zahlen der Ermittlungsverfahren gegen Kommunisten ›einem ausgewachsenen Polizeistaat alle Ehre machten‹«. 1966 schrieb Der Spiegel: »Zwanzigmal verdächtigen oder beschuldigen sie Unschuldige, ehe sie einen Kommunisten fangen, der dann auch verurteilt wird.« Alles vergessen.
  1. Siehe Band 357 der Entscheidungssammlung,
    S. 276 und an anderen Stellen
  2. Uwe Wesel: Fast alles, was Recht ist,
    Frankfurt/Main 1991, S. 61
  3. Siehewww.juraforum.de
Friedrich Wolff war mehrfach Vorsitzender des Berliner Rechtsanwaltskollegiums in der DDR. In Deutschland verteidigte er Erich Honecker vor Gericht. In der Edition Ost erschien in diesem Jahr von ihm »Verlorene Prozesse«

(Quelle: Tageszeitung "Junge Welt" vom 10.07.2009)

Fortsetzung folgt in der nächsten ORTZkunde.

5 Jahre Montagsdemo Zeitz
Ein Bericht

Zur 5-jährigen Jubiläums- und der zugleich 241. Montagsdemonstration am 24.08.2009 in Zeitz erschienen 65 Personen, um wieder gemeinsam gegen Hartz-IV, sowie gegen Sozial- und Demokratieabbau zu protestieren.

Von den 65 Teilnehmern beteiligten sich 51 Demonstranten an einer Demo durch Zeitzer Straßen; die anderen Leute waren indessen mit den letzten, anlassbedingt recht aufwendigen, Kundgebungsvorbereitungen ausgelastet bzw. mitunter auch nicht voll gehfähig. Die Strecke führte vom Schützenplatz über die Theodor-Arnold-Promenade, Lasalle-Straße, August-Bebel-Straße, Schützenstraße zurück zum Schützenplatz. Die Demonstranten skandierten laut Parolen wie beispielsweise: "Weg mit Hartz IV, das Volk sind wir!", "Wohnung, Uni, Krankenhaus, wer's nicht zahlen kann fliegt raus!", "Habt ihr mal daran gedacht, wer die Reichen reicher macht?", "Für uns're Zukunft kämpfen wir, drum sind wir jeden Montag hier!", "Deutsche Bosse scheffeln topp, für uns bleibt der Ein-Euro-Job!", "Kinderarmut im reichen Land! Protest! Protest! Es ist 'ne Schand!", "Geld für Banken und Soldaten, das Volk bezahlts' und wird verraten!"

Danach begann die Kundgebung mit vielen Gastrednern. Es sprachen: Elke Reinke (Die LINKE, Mitglied des Bundestages), Dr. Frank Thiel (Die LINKE, Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt), Wolfram Altekrüger (Vorsitzender des ver.di Bezirkserwerbslosenausschuss Sachsen-Anhalt Süd) und unsere Gäste von der Montagsdemonstration Gera.

Der Alt-OB Kmietcyk hatte während seiner Amtszeit selbstverständlich zumindest bei derartigen Anlässen mit demonstriert und auch die Teilnehmer über Mikro und Lautsprecher im Anliegen bestärkt. Zeitz hat jetzt einen anderen OB, der offensichtlich keine Worte fand, um sie an die Demonstranten (immerhin ebenfalls Zeitzer Bürger) zu richten.

Es gab eine technische Premiere, denn erstmals fand eine Direktschaltung über Handy zu den Saarbrücker Montagsdemonstranten statt. Zu ihnen haben wir seit geraumer Zeit sehr angenehme Kontakte; sie begingen zeitgleich ebenfalls 5 Jahre Montagsdemo. So waren wir erstmals live mit der ganzen Montagsdemonstration im Dialog; viele kämpferische und enthusiastische Grüße wechselten in beiden Richtungen zwischen Saarbrücken und uns. Wir werden diese Kontakte weiter ausbauen, denn nur gemeinsam können wir unsere Ziele erreichen.

Vielen Dank an die Singegruppe "LötSinn" für die mitreißende musikalische Begleitung. Vielen Dank an den Förderverein "Historisches Zeitzer Kochbuch e.V." für die leckere Verpflegung. Vielen Dank an alle Gäste und Demonstranten, die unserer Einladung folgten. Vielen Dank an alle Organisatoren für die gelungene Veranstaltung.

Fazit: Die Montagsdemonstrationen in Zeitz werden weitergehen! Nicht betteln und bitten, nur mutig gestritten!



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ




Copyright by ORTZ

Startseite