Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 1 + Nr. 10 + 26. Oktober 2009

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«   Journal für soziale und politische Themen   »
Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Zur Bundestagswahl 2009
  2. Bund will Zuschüsse für die Kosten der Unterkunft an die Kommunen kürzen!
  3. Rechtsstaat BRD? - Unrechtsstaat DDR? - Teil 4.2: Klassenjustiz konträr. DDR-BRD-Vergleich: Unrecht im Rechtsstaat - Recht im Unrechtsstaat
  4. Lob der Dialektik (Bertold Brecht)

Zur Bundestagswahl 2009

Erstmals seit 1994 ergaben die Bundestagswahlen vom 27.09.2009 wieder eine "schwarz-gelbe" Mehrheit. Der soziale Kahlschlag in Deutschland geht also weiter und wird sich wohl noch verstärken. Doch ergab die Wahl in verschiedener Hinsicht historisch zu nennende Ergebnisse:
  • Die Wahlbeteiligung war mit 70,8 % der Wahlberechtigten so niedrig wie noch nie - ein Zeichen für angewachsene gesamtpolitische Unzufriedenheit, Staatsverdrossenheit und auch Resignation.

  • Die CDU/CSU erzielte mit 33,8 % ihr schlechtestes Ergebnis nach der Wahl 1949.

  • Die SPD erreichte mit 23,0 % nochmals 5,8 % weniger als bei ihrem bisherigen Tiefpunkt 1953. In Ostdeutschland erlitt sie erdrutschartige Verluste und verlor zum Teil die Hälfte ihrer Wähler gegenüber der vorherigen Bundestagswahl.

  • DIE LINKE erzielte ihr bestes Bundesergebnis, ebenso wie die Grünen. Zudem gewann sie erstmals außerhalb Berlins Direktmandate (Mecklenburg-Vorpommern: 1, Thüringen: 2, Brandenburg: 4 Sachsen-Anhalt: 5) und wurde in Brandenburg und Sachsen-Anhalt stärkste Partei. In drei westlichen Bundesländern erreichte DIE LINKE zweistellige Ergebnisse; in allen anderen Ländern liegt sie deutlich über 5 %.
Bei hohen Stimmenverlusten gewann die Union dennoch durch Direktmandate 13 Sitze hinzu (verursacht durch ein Wahlsystem mit Listen- und Direktmandaten). Auch das trägt maßgeblich zur Staatsverdrossenheit bei und verzerrt Wählerwillen vollständig.

DIE LINKE erreichte im Osten ein Ergebnis von 25,3 %. Das Ergebnis der CDU im Osten lag um 12,2 % unter dem in Westdeutschland erzielten Wert. Die Grünen konnten in Ostdeutschland mit 5,2 % knapp die 5 %-"Hürde" überspringen, während sie in Westdeutschland immerhin 8,8 % erreichten. Wie kommen solche Ergebnisse zu Stande?

Analytisch ist feststellbar: Konsequentes Eintreten für Ziele wie soziale Gerechtigkeit, Abschaffung der HARTZ-Gesetze, Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und anderen Auslandseinsätzen findet Zustimmung (DIE LINKE), während in der SPD unverbesserliche Betonköpfe die Quittung für ihr stures Festhalten an den unsozialen HARTZ-Reformen erhielten.

Doch eine Partei kann sich als absoluter Wahlsieger mit dem höchsten Stimmenanteil feiern, obwohl sie niemand will: Die "Nichtwähler-Partei". Vor zwanzig Jahren gingen Bürger der DDR für vermeintliche Freiheit auf die Straße, heute sind ihnen diese Werte wohl schon wieder egal. Dass es am Wahltag zur Machtübernahme für "Schwarz-Gelb" reicht, ist zu einem großen Teil auch diesen Nichtwählern zu "verdanken".

Und auch die Gesellschafts-Spaltung wird sichtbar. Auf der einen Seite die Reichen, die ihre Macht und ihren Wohlstand sichern wollen - auf der anderen Seite die Armen, die täglich um die nackte Existenz kämpfen müssen. Ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland: Die Schere zwischen ARM und REICH, die sich immer weiter öffnet. Deshalb ist es besonders wichtig, dass der Protest auf der Straße fortgesetzt wird und der Offene Runde Tisch Zeitz wird seinen Beitrag dazu leisten.

Bund will Zuschüsse für die Kosten der Unterkunft an die Kommunen kürzen!

Die neue Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP deutet geplante unsoziale Änderungen zu Verbesserungen u. a. für Hartz-IV-Opfer um und spiegelt dem Volk Trugbilder vor - man denke nur an die Erhöhung des Schonvermögens (auf CDU-Betreiben erst vor 4 Jahren abgesenkt) und bessere "Zuverdienstmöglichkeiten". Und die derzeit noch im Amt befindliche große Koalition aus SPD und CDU mutet sogar offen dem Volk weitere Kürzungen im sozialen Bereich zu.

Die Kosten für die Unterkunft und Heizung (KdU) werden bisher zu 26 % vom Bund getragen. Den größten Teil mit 74 % tragen allerdings die Kommunen selbst. Der Anteil des Bundes soll nun aber von 26 % auf 23,6 % gekürzt werden! Ein entsprechender Gesetzesentwurf liegt bereits vor. Der Bund begründet diese Kürzung mit der Regelung im Hartz-Gesetz, den Bundesanteil zu senken, wenn die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften sinkt. In Wahrheit sind jedoch die Kosten für Unterkunft und Heizung stark gestiegen. Erinnern wir uns an die letzte Heizperiode: Die Witterung war lang anhaltend sehr kalt und die Kosten für Heizenergie stiegen stark. Da kann von gerechtfertigten Reduzierungen keine Rede mehr sein. Die zu erwartende zunehmende Arbeitslosigkeit infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise wird ebenfalls nicht berücksichtigt. Hier werden unsoziale Einschnitte vorgenommen.

Wie sollen die Kommunen die Kürzungen des Bundesanteils und gleichzeitig den Anstieg der Arbeitslosigkeit bewältigen? Stehen Hartz-IV-Betroffenen nun Kürzungen bei der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung ins Haus? In einigen Bescheiden wurden diese Kosten tatsächlich schon ab Januar gekürzt!

11 Jahre Bundesregierungszeit der SPD enden, wie sie begannen - mit Hartz-"Reformen"!

Rechtsstaat BRD? - Unrechtsstaat DDR?
Teil 4.2: Klassenjustiz konträr
DDR-BRD-Vergleich: Unrecht im Rechtsstaat - Recht im Unrechtsstaat

Von Friedrich Wolff

»Institutionelles« Unrecht

In jedem Staat kommt es vor, daß ein Unschuldiger schuldig gesprochen wird. Richter sind auch nur Menschen. Die Vorsorge gegen Irrtümer oder Böswilligkeit von Richtern kann jedoch unterschiedlich gelungen im Gesetz getroffen sein. Da gibt es im Strafverfahrensrecht der Bundesrepublik Probleme. So wird in den Verfahren, die schwerste Straftaten zum Gegenstand haben, kein Wortprotokoll geführt. Starverteidiger Rolf Bossi schreibt dazu: »Weil es vor dem Schwurgericht kein Wortprotokoll gibt, können Richter in ihrer Urteilsbegründung den Verhandlungsverlauf und die Zeugenaussagen nach eigenem Gusto so wiedergeben, wie es ihrer Urteilsfindung entspricht. Widerspruch ist damit chancenlos.«4 Bossi schlußfolgert: »Im Prinzip ist damit der Willkür Tür und Tor geöffnet. Richter können Zeugenaussagen ignorieren, mißverstehen, verdrehen und in einzelnen Fällen sogar bewußt verfälschen, ohne daß es ihnen nachzuweisen wäre. (...) Es gibt praktisch keine Möglichkeit, diese schriftliche Darstellung einer Schwurgerichtskammer in Zweifel zu ziehen oder gar zu widerlegen.«5 So war das im deutschen Rechtsstaat schon immer, d. h. seit Einführung der Strafprozeßordnung im Jahr 1878. Das lag und liegt nicht allein am fehlenden Wortprotokoll. »Zum folgenreichen Justizskandal wird das Urteil aber erst, da die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen durch keine weitere Instanz mehr überprüfbar sind. Das wahre Problem ist demnach nicht die Fehlbarkeit der einzelnen Gerichte, sondern die Struktur des Rechtsweges im bundesdeutschen Schwurgerichtsverfahren. Schwere Justizirrtümer sind nicht allein ein individuelles, sie sind auch ein institutionelles Problem.«6 Bossi urteilt: »Ausgerechnet bei schweren Straftaten, wenn es um hohe Freiheitsstrafen für den Beschuldigten geht, ist der Rechtsweg durch die Instanzen schlicht unzureichend.«7

Dieses »institutionelle Problem« gab es im Unrechtsstaat nicht. Dort gab es in jedem Strafverfahren Protokolle, die die Aussagen der Prozeßbeteiligten wiedergaben (Paragraphen 252, 253 StPO-DDR) und dem Berufungsgericht zur Überprüfung der Tatsachenfeststellung des angegriffenen Urteils dienten.

Und noch etwas war im Strafprozeß der DDR anders. Nach Paragraph 8 ihrer Strafprozeßordnung war die »Feststellung der Wahrheit« Voraussetzung der Entscheidung. Im bundesrepublikanischen Strafprozeß heißt es im Paragraph 261: »Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung«. Ein kleiner, aber wohl nicht feiner Unterschied: Überzeugung kontra objektive Wahrheit. Auch das kann manches Fehlurteil erklären. Wenn Polizisten Demonstranten erschießen, ist der Richter von Notwehr leicht zu überzeugen.

Bossi resümiert: »Beim Thema Justizunrecht scheinen die genannten Stellen (Spitzen des Staates und der Justiz - F. W.) der Illusion anzuhängen, daß nicht sein kann, was in einem Rechtsstaat nicht sein darf: daß Richter sich in Einzelfällen aus ihrer Machtfülle heraus über das Recht und über die Grundsätze von Wahrheit und Gerechtigkeit hinwegsetzen. Skandalöse Mißstände also, die daran zweifeln lassen, ob im Zweifel tatsächlich für den Angeklagten Recht gesprochen wird. Mißstände zudem, denen auf seiten der Verantwortlichen offenbar niemand entgegentreten will, ja, die man dort nicht einmal öffentlich diskutiert sehen möchte.«8
  1. Rolf Bossi: Halbgötter in Schwarz. Deutschlands
    Justiz am Pranger, Frankfurt/Main 2005, S. 43
  2. Ebd., S. 45
  3. Ebd., S. 75
  4. Ebd., S. 21 f.
  5. Ebd., S. 88
Friedrich Wolff war mehrfach Vorsitzender des Berliner Rechtsanwaltskollegiums in der DDR. In Deutschland verteidigte er Erich Honecker vor Gericht. In der Edition Ost erschien in diesem Jahr von ihm »Verlorene Prozesse«

(Quelle: Tageszeitung "Junge Welt" vom 10.07.2009)

Fortsetzung folgt in der nächsten ORTZkunde.

Lob der Dialektik

Das Unrecht geht heute einher mit
sicherem Schritt.
Die Unterdrücker richten sich ein auf
zehntausend Jahre.
Die Gewalt versichert: So, wie es ist, bleibt es.
Keine Stimme ertönt außer der Stimme
der Herrschenden.
Und auf den Märkten sagt die Ausbeutung laut:
Jetzt beginne ich erst.

Aber von den Unterdrückten sagen viele jetzt:
Was wir wollen, geht niemals.
Wer noch lebt, sage nicht: niemals!
Das Sichere ist nicht sicher.
So, wie es ist, bleibt es nicht.
Wenn die Herrschenden gesprochen haben
Werden die Beherrschten sprechen.
Wer wagt zu sagen: niemals?

An wem liegt es, wenn die Unterdrückung bleibt?
An uns.
An wem liegt es, wenn sie zerbrochen wird?
Ebenfalls an uns.
Wer niedergeschlagen wird, der erhebe sich!
Wer verloren ist, kämpfe!
Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?
Denn die Besiegten von heute sind
die Sieger von morgen.

Und aus Niemals wird: Heute noch!

(Bertold Brecht)



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ




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