Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 2 + Nr. 01 + 4. Januar 2010

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Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Was sind Aktiv-Center?
  2. Datenskandal bei der Bundesagentur für Arbeit
  3. Rechtsstaat BRD? - Unrechtsstaat DDR? - Teil 4.4: Klassenjustiz konträr. DDR-BRD-Vergleich: Unrecht im Rechtsstaat - Recht im Unrechtsstaat

Was sind Aktiv-Center?

Ein Artikel der MZ beschrieb kürzlich die angeblichen Aufgaben und Ziele der Aktiv-Center. Dabei wurde ein unglaublicher Schwachsinn vorgestellt, mit abstrusen Äußerungen dort genannter Arbeitsloser. Die ARGE Burgenlandkreis lobt diese "Aktiv-Center" (BLK) als "Nachfolger des 1 €-Jobs". Die "Aktiv-Center" sind in Zeitz (hier macht das unter anderem der Träger "Arbeit und Leben"), Weißenfels und Naumburg ansässig. Einige Darstellungen sind einfach albern, einige weitere sind höchst bedenklich. In den Interviews heißt es u. a.:

"Man lernt doch einiges dazu", sagt M. K., nachdem sie die ersten Monate im Aktiv-Center absolviert hat. Es wächst sogar wieder die Hoffnung, Arbeit zu bekommen. "Warum nicht in einer Küche?", sagt sie und engagiert sich erst einmal in der Technischen Ausbildungs Zentrum GmbH (TAZ) Weißenfels. Dafür erfahren sie und die anderen Mitstreiter in den Essenspausen viel Anerkennung. Anmerkung: TAZ Weißenfels führt diese Aktiv-Center-Maßnahme selber durch. Ziel sollte jedoch nicht bloß Arbeit sein - in einer Küche oder anderswo - sondern existenzsichernde Arbeit.

Behauptet wird, diese Aufgaben sollen die Betroffenen aus der Isolation holen, indem mögliche Eignungsfelder getestet werden. Doch nicht alle halten für sinnvoll, was sie tun müssen. Dazu die Betroffenen: Am Anfang sei ihr schon sehr komisch vorgekommen, was der Bildungsträger von ihr verlangt habe, sagt M. K. und löst in ihrem Umfeld zustimmendes Nicken aus. Da seien zum Beispiel Gruppen gewandert, hätten sich im Heimatnaturgarten und im Schuhmuseum umsehen müssen - und dazu seien dann Fragen zu beantworten gewesen. "Wie bei den Kindern in der Schule" beschwerte sich ein Mann bei der MZ. Anmerkung: Was hat das mit oben genannter Arbeit in einer Küche zu tun? Nichts! Zeit- und Geldverschwendung!

Andreas Krack vom "Bildungsträger" Arbeit und Leben in Zeitz: "Wer wegen eines Alters von 52 Jahren auf dem Arbeitsmarkt für sich schon keine Chance mehr sieht, dem fehlt ebenso ein Teil Motivation, die dazu gehört, will man auf dem Arbeitsmarkt noch einmal Fuß fassen." Anmerkung: Leider ist Realität, mit 52 Jahren nicht mehr eingestellt zu werden, Herr Knack! An fehlender Motivation der Betroffenen liegt das aber ganz gewiss nicht, sondern an den Unternehmensverlangen nach jungen qualifizierten und mies bezahlten Mitarbeitern!

Ein weiterer interessanter Satz im Artikel: "Die Aktivcenter sind zu den Ein-Euro-Jobs die bessere Initiative, sie zielen auf den ersten Arbeitsmarkt", so sieht Harald Miesch als Arge-Bereichsleiter Marktintegration das neue arbeitsmarktpolitische Instrument. Die Ein-Euro-Jobs kennen die meisten Teilnehmer des Aktiv-Centers bereits. "Nun bleibt mir nur zu hoffen, dass es auf diesem Weg besser klappt". Anmerkung: Das ist für die 1 €-Jobs eine Bankrotterklärung. Die Aktiv-Center werden gleichfalls scheitern! Denn diese Maßnahmen sind alle irgendwie gleich, helfen keinem Betroffenen. Vielmehr treten die Teilnehmer auf der Stelle wie Mäuse im Laufrad. Die wahren Nutznießer dieser Maßnahme-Ideen sind die "Bildungsträger", sie schmarotzen weiter an den Fördertöpfen - komplett von unseren Steuergeldern finanziert!

Datenskandal bei der Bundesagentur für Arbeit

In dieser Behörde existiert faktisch kein Datenschutz. Es werden Daten über jeden und alles erhoben. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar bezeichnete unlängst den Datenschutz bei der Arbeitsagentur als Katastrophe: "Weitgehend unübersichtliche Befugnisstrukturen, Möglichkeiten, über das Jobbörsenportal Zugriff auf beliebig viele Bewerberdaten zu erhalten, ohne vorher konkret belegen zu müssen, dass es sich bei einem um einen Arbeitgeber handelt, der tatsächlich Arbeitsplätze zu vergeben hat, sind jedoch nur ein kleiner Teil der Problematik, die bei den Betroffenen längst zur kompletten Resignation in Datenschutzbelangen geführt hat."

Die jüngste Datenpanne brachte an den Tag, dass höchst vertrauliche Daten Betroffener, wie Krankheiten oder Schulden, für Unbefugte (die sich wahrheitswidrig als Arbeitgeber ausgaben) zugänglich waren und auch abgerufen wurden.

Was Ihre Daten bei der ARGE betrifft: Sie müssen nichts angeben, was die ARGE nicht verbindlich erheben darf! Die private Telefonnummer ist z. B. eine freiwillige Angabe, worauf die ARGE nicht bestehen darf.

Rechtsstaat BRD? - Unrechtsstaat DDR?
Teil 4.4: Klassenjustiz konträr
DDR-BRD-Vergleich: Unrecht im Rechtsstaat - Recht im Unrechtsstaat

Von Friedrich Wolff

Gleichheit vor dem Gesetz

»Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich« (Artikel 3 Grundgesetz). Der Arme hat das gleiche Recht wie der Reiche, das Gericht anzurufen. Der Arme bekommt auch Prozeßkostenhilfe, um die Gerichts- und Anwaltsgebühren entrichten zu können. So weit, so gut. Doch wie geht es dem, der für den Empfang von Prozeßkostenhilfe zu wohlhabend ist, aber das Risiko des Prozeßverlustes nicht tragen kann. Als ich Rudolf Bahro wegen seines Anspruchs auf Haftentschädigung nach dem Anschluß der DDR an die BRD vor dem Landgericht vertrat, wies das Gericht die Klage auf Zahlung der wesentlich günstigeren Entschädigung nach DDR-Recht ab. Die vorsitzende Richterin legte uns wegen der noch nicht geklärten Problematik, ob noch DDR-Recht oder schon BRD-Recht anzuwenden sei, nahe, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen. Bahro mußte passen. Das Risiko, Gerichts- und Anwaltskosten für zwei Instanzen tragen zu müssen, war ihm zu hoch. Die Bundesrepublik, unser Prozeßgegner kannte dieses Problem nicht.

Die Tücke liegt im verborgenen. Nicht jeder Anwalt ist bereit, für die niedrigen Gebühren zu arbeiten, die er im Wege der Prozeßkostenhilfe erhält. Je besser und gesuchter der Anwalt ist, desto weniger wird er bereit sein, zu diesen Bedingungen ein Mandat zu übernehmen. Von der Fähigkeit des Anwalts hängt jedoch vielfach der Ausgang eines Zivilprozesses in der BRD ab, mehr als in der DDR. Im Staat des Grundgesetzes gilt nämlich im Zivilprozeß (anders als vor Straf- und Sozialgerichten) der Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz. Ein bekanntes Lehrbuch sagt dazu: »Da der gewöhnliche Zivilprozeß weitgehend den Parteiinteressen dient, ergeht die Entscheidung darin auf der Grundlage der von den Parteien vorgebrachten Tatsachen.«12 Das klingt einleuchtend, ist aber nicht zutreffend. Welche Tatsachen für die Entscheidung von Bedeutung sind, ist ohne umfassende Rechtskenntnis oft nicht erkennbar. Der Reiche mit seinem guten Anwalt ist da im Vorteil. Artikel 3 des Grundgesetzes nützt dann dem Armen nicht. In der DDR war das anders. Im Lehrbuch von Hans Nathan aus dem Jahr 1957 heißt es dazu ideologisch fundiert: »Die Verhandlungsmaxime widerspricht dem Interesse der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten. Diese können einer Rechtsprechung kein Vertrauen entgegenbringen, nach deren Prinzipien und Methoden dem Urteil oft nur eine einseitige, der Willkür und dem Geschick der Parteien oder ihrer Prozeßbevollmächtigten überlassene Auswahl der tatsächlichen Umstände, nicht aber die vollständige Aufklärung des Sachverhaltes zugrunde gelegt wird.«13

Rolf Lamprecht, ein bekannter Gerichtsreporter, gibt zu diesem Thema eine Nachricht aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. März 1995 wieder: »Wenn 68 Prozent aller Deutschen (im Osten sogar 73 Prozent) der Überzeugung sind, daß der Gerechtigkeitsgedanke des Grundgesetzes (›Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich‹) in der Bundesrepublik nicht verwirklicht wird, muß der Glaubwürdigkeitsverlust schon weit fortgeschritten sein.«14

Strafverfahren waren in der DDR gebührenfrei. Nur die Auslagen des Verfahrens wurden dem Verurteilten auferlegt. Dazu gehörten auch die Gebühren eines Pflichtverteidigers. Diese waren jedoch in der DDR wesentlich niedriger als in der BRD. Sie errechneten sich hier wie dort nach der Zahl der Verhandlungstage. Da in der DDR die Strafprozesse wesentlich kürzer waren als in der BRD, belasteten sie auch aus diesem Grund den Verurteilten weniger. Ebensowenig wurden ihm die Haftkosten auferlegt. Nur wenn er im Strafvollzug gearbeitet hatte, wurden ihm Haftkosten von dem Arbeitsverdienst abgezogen. So hatte ein aus dem Strafvollzug Entlassener in der Regel keine Schulden. Er bekam auch Arbeit und einen Wohnraum nachgewiesen. In der BRD stehen ihm diese Rechte nicht zu.

Freiheit und Recht

Der Rechtsstaat beruht auf einer freiheitlich demokratischen Grundordnung, an sie sind die Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes gebunden. Der BRD-Bürger genießt volle politische Freiheit. Er kann wählen oder gewählt werden und seine Meinung jederzeit frei äußern. Er kann auch die Bundesrepublik zu jeder Zeit verlassen. Das ist schön und besser als in der DDR, aber, was die Meinungsfreiheit anbelangt, bedeutungslos. Er kommt gegen die veröffentlichte Meinung nicht an, und auf diese hat er keinen Einfluß. Reisefreiheit ist köstlich, doch sie bestimmt nicht den Alltag.

Im Alltag sind die Rechte der Bundesbürger gegenüber dem DDR-Bürger weniger vorteilhaft ausgestaltet. Im Arbeitsrecht z.B. war der Werktätige der DDR bessergestellt als der abhängig Beschäftigte der BRD. Sein Lohn oder Gehalt mußte er nicht verschweigen, ausspioniert wurde auch nicht, ob er zu häufig auf die Toilette geht; im Betrieb konnte er seine Meinung freier äußern. Last but not least, sein Arbeitsplatz war sicherer.

Erstaunlich, auch im Zivilrecht der DDR war der Bürger freier, mündiger als in dem der BRD. So gab es vor Gericht im Zivilprozeß keinen Anwaltszwang. Jeder Bürger konnte selbst Klagen einreichen und sich im Rechtsstreit selbst vertreten. Das war z.B. im Ehescheidungsverfahren sehr häufig der Fall und minderte die Kosten erheblich.

Der DDR-Bürger konnte auch über sein Vermögen für den Todesfall uneingeschränkter verfügen. Einen Pflichtteilsanspruch gab es nur für die noch unterhaltsberechtigten Kinder. Viele Manipulationen, die heute vorgenommen werden, um dem Pflichtteilsanspruch etwa von unehelichen Kindern zu entgehen, mit denen der Vater nie Kontakt hatte, entfielen dadurch.

Die Etikette »Rechts- und Unrechtsstaat« trügen also genauso wie andere Etikette in dieser Gesellschaft. Hier wurden nur Teile der beiden Rechtssysteme verglichen. Sie dürften aber repräsentativ sein für das Unrecht im Rechtsstaat und das Recht im Unrechtsstaat.

  1. Leo Rosenberg/Karl Heinz Schwab/Peter Gottwald: Zivilprozeßrecht, München 1993, S. 425
  2. Hans Nathan: Das Zivilprozeßrecht in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1957, S. 26 f.
  3. Rolf Lamprecht, Vom Mythos der Unabhängigkeit, Baden-Baden 1995, S. 91, unter Berufung auf FAZ vom 8.3.1995
Friedrich Wolff war mehrfach Vorsitzender des Berliner Rechtsanwaltskollegiums in der DDR. In Deutschland verteidigte er Erich Honecker vor Gericht. In der Edition Ost erschien in diesem Jahr von ihm »Verlorene Prozesse«

(Quelle: Tageszeitung "Junge Welt" vom 10.07.2009)





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