Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 2 + Nr. 07 + 01. Juli 2010

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Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Gesellschaftliche "Insgesamtschweinerei"
  2. Zitat (Laotse)

Gesellschaftliche "Insgesamtschweinerei"

Für den Haushalt 2011 sollen 11,1 Milliarden € eingespart werden und bis 2016 dann jedes Jahr 8 Milliarden €. Die Einsparungen sind angeblich zur Einhaltung der "Schuldenbremse" notwendig. Bis 2016 sollen dann nur noch 0,35% (Kreditsumme von 9 Milliarden €) zur Neuverschuldung eingesetzt werden. Der Anteil der Zinszahlungen am Bundeshaushalt stieg in den letzten 40 Jahren von 3 % auf 15 %.

Das konkrete Resultat der Klausur (für die Klausurtagung mussten die Politiker - "die armen Schweine" - sogar sonntags arbeiten) muss erst noch analysiert werden, aber es deutet alles auf eine Etatsanierung zu Lasten der Schwachen hin. Folgende Einschnitte sind geplant:
  • Der bislang bei Übergang vom ALG I zum ALG II (Hartz IV) für maximal zwei Jahre gezahlte Zuschlag wird ersatzlos gestrichen.
  • Das Elterngeld für Mütter und Väter im ALG-II-Bezug wird gestrichen.
  • Der bislang gezahlte Rentenversicherungsbeitrag für Bürger im ALG-II-Bezug wird ersatzlos gestrichen. Damit werden während des ALG-II-Bezuges keinerlei Rentenansprüche mehr erworben. Selbst die Wartezeit entfällt. Hier sei an die von der EU-Kommission für ganz Europa verlangte Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre erinnert.
  • Die Arbeitslosenversicherung soll perspektivisch - ungeachtet steigender Arbeitslosigkeit -ohne staatliche Zuschüsse auskommen. Obwohl die Gelder bereits jetzt nicht ausreichen.
  • Der Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger soll entfallen. Begründet wird diese Streichung mit wieder "stabilisierten" Heizkosten. Das sind sie auch, nämlich auf einem sehr hohen Kostenniveau! Ein einmal gestrichener Zuschuss wird auch bei erneuten Energiekosten-Steigerungen gewiss nicht wieder eingeführt werden! Das wissen wir alle.
Weitere Streichungen und Kürzungen sollen u. a. Bundeswehr, Beamtenbezüge sowie die Wohnungsbauprämie betreffen. Was die Bundeswehr angeht: Die bekommt immer noch zu viel Geld. Man könnte dort sehr viel sparen und dennoch die Landesverteidigung garantieren.

Aber bereits jetzt wird von der Klausur als dem "Gipfel der Grausamkeiten" gesprochen. Freilich wird es nur die einfachen Leute betreffen und nicht - wie gestern von Lindner (FDP) behauptet: "Wir werden überall massiv zuschlagen." Das werden die eben nicht tun.

Die beabsichtigten Sozialkürzungen sind deshalb auch ein riesengroßer Wahlbetrug, denn vor der Wahl hatte Merkel Sozialabbaupläne geleugnet. Sie hält sich damit an die alte Weisheit "Was stört mich mein Geschwätz von gestern", z. B. auch bei der Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte anstatt "nur" 1.

Es geht also gegen die Armen dieser Gesellschaft - wieder mal. Natürlich "unterstützte" auch der Präsident der Bundesvereinigung der "Arbeitgeber" mit einem ganzen Vorschlagspaket den Sparkurs der Merkelregierung. Es geht ihm um die noch stärkere Einbeziehung der Arbeitslosen in die Sparmaßnahmen und der, also dieser Hundt, sieht ein Einsparpotenzial von 6 Milliarden €. Bei der Weiterbildung beispielsweise, beim Streichen des Zuschlags beim Übergang von ALG I zu ALG II, der Rücknahme der wieder verlängerten ALG-Bezugsdauer für ältere Arbeitnehmer (die mache sie quasi zu faul). Es soll damit wieder die Schwächsten treffen, also jenen soll noch mehr genommen werden, die schuldlos ohnehin am wenigsten haben. Sie sollen büßen, obwohl sie selbst Opfer der Krise sind und diese auch keinesfalls verursachten.

Zum Arbeitsmarkt einige Schlagzeilen aus den Medien:
  • "Überraschend starker Frühjahrsaufschwung"
  • "Arbeitsmarkt im Frühjahrshoch"
  • "Allmähliche Wende zum Wachstum"
  • "Arbeitsmarkt deutlich belebt"
  • "Anziehende Konjunktur"
So und ähnlich lauten schon wieder die Jubelarien. Ursula von der Leyen meinte: "Der Arbeitsmarkt erweist sich derzeit als der Fels in der Brandung." So toll scheint es um den Fels aber nicht zu stehen. Zumindest laut Statistik - wir wissen, was davon zu halten ist - hat die Arbeitslosenzahl den niedrigsten Stand seit 18 Jahren erreicht. Das sind 3,24 Millionen Menschen, 165.000 weniger als im April. Aber selbst Weise warnt: "Die Lage ist besser als befürchtet, aber unsicher". Denn die volle Wahrheit wird eben nicht gesagt. Ohne die Änderung der Statistikberechnung im Mai 2009 wäre die Lage nicht ganz so positiv. Ohne diesen Sondereffekt läge die Zahl der Arbeitslosen sogar leicht über dem vorjährigen Vergleichswert. Nach der geänderten "Berechnung" verringerte sich daher die Arbeitslosenquote im April vom 8.5 % auf 8,1 % und im Mai von 8,1 % auf 7,7 %.

Die angeblich moderaten Krisenwirkungen sind der entlastend wirkenden Kurzarbeit geschuldet sowie einem rückläufigen Arbeitskräfte-Angebot. Immerhin waren zuletzt 700.000 Menschen in Kurzarbeit, rund 850.000 arbeiteten insgesamt verkürzt. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es 190.000 Teilzeitstellen mehr. Dadurch verringerte sich aber um 140.000 zum Vorjahr die Zahl der Vollzeitstellen, also der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Hinter der Fassade verbirgt sich also ein Boom der Billigjobs und ein drastischer Abbau regulärer Vollzeitstellen. Das ist die eigentliche, wegretuschierte und verschwiegene Wahrheit. Und noch einige Zahlen: Die Löhne legten um 0,9 % zu - bei einer Inflationsrate von 0,8 %. Und die Gewinne stiegen um 15.2 %. Die Ausbeutung erhöht sich also weiter.

Nun etwas zur sinkenden Akzeptanz der Koalition. Vor 10 Tagen gab es eine mediale Erkenntnis: Angela Merkel stehe nur noch einer Minderheitsregierung vor. Das wussten wir immer schon, denn tatsächlich wurde die Union von weniger als 24 % der Wahlberechtigten gewählt. Die Nichtwähler einbezogen. Die realen Prozente für die FDP addiert, kommt die Regierungskoalition auf reichlich ein Drittel der Bevölkerung. Mehrheiten sehen anders aus. Also war sie noch nie Kanzlerin aller Deutschen - die sie ja sein will.

Nun sinken die Umfragewerte der Koalition ins Bodenlose. Nur noch 20 % aller Deutschen sind demnach mit der Regierung zufrieden. Ein Fünftel der Bevölkerung! Es wäre wünschenswert, Merkel selbst folgte dieser Richtung. Aber sie wird das in keine Gewissenskrise stürzen. Das geschieht ja auch sonst nicht, wenn im Bundestag Entscheidungen gegen die realen Interessen der Bevölkerungsmehrheit getroffen werden. Auch dann nicht, wenn deren Wille in Umfragen deutlich erkennbar ist, aber die Regierung anderes wünscht.

Dann bezeichnet Merkel ihre Vorhaben eben als alternativlos. Dieses Wort sollte zum Unwort des Jahres 2010 erklärt werden.

Sie schnürt nun mal lieber Pakete von Hunderten Milliarden € für Banken und Konzerne, also für das Finanzunwesen. Der Restbevölkerung und insbesondere den ohne Eigenverschulden aus gesellschaftlichen Gründen Verarmten stülpt sie ein falsches Sparkonzept über, zu dem auch ein miserables Gesundheitskonzept gehört. Derart könnte man Position um Position durchgehen, nie wird in diesem System etwas für die Ärmsten getan werden, weil das dem Kapitalismus wesensfremd ist. Und diese Armen sind arm, weil andere reich sind. Deshalb wird beim Einsparen auch nicht über vernünftige Vorschläge nachgedacht, als da wären:
  • Senkung der Rüstungskosten
  • sofortiger Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan
  • Stopp der Diätenerhöhungen
  • Schuldenverursacher wie Banken in Regress nehmen, also die Banken und Reichen zur Kasse bitten!
  • Entschädigungen zahlen
  • Erhöhung der Spitzensteuersätze
  • Einführung einer Reichensteuer
  • Kampf gegen Steuerhinterziehung
  • Vermeiden von Fehlinvestitionen
  • Reduzierung der Krankenkassen (Warum sind fast 300 davon nötig?)
Einige Gedanken zum Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler: Die Talkrunden danach waren ein Meisterstück der Manipulation. Kein Teilnehmer, schon gar nicht ein Journalist, kam auf die Idee, vielleicht musste Köhler zurücktreten, weil er - ob vorsätzlich, sei dahingestellt - die Wahrheit aussprach über die gegenwärtigen Kriege in Afghanistan, Irak und anderswo. Köhler versuchte ja auch, wieder zurück zu rudern. Er sei falsch verstanden worden usw. Die Wahrheit ist ja, die Kriege dienen Wirtschaftsinteressen der Industrie und der Banken. Herrn Strucks auch von anderen Leuten wiederholte alberne Phrase stimmt nicht, am Hindukusch werde die deutsche Freiheit und Demokratie verteidigt. Deshalb fiel über Köhler die ganze Meute der Formulierungsbewahrer her.

In den verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003 und im Bundeswehr-Weißbuch von 2006 kann das alles auch lesen, wer nur will. In den Richtlinien von 2003 heißt es z. B., Zitat: "Die deutsche Wirtschaft ist aufgrund ihrer hohen Außenhandelsvolumen und der damit verbundenen besonderen Abhängigkeit von empfindlichen Transportwegen und -mitteln zusätzlich verwundbar". Und 2006 heißt es im Bundeswehr-Weißbuch: " ... den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstandes zu fördern".

All die Lügen - Freiheit am Hindukusch verteidigen, gegen den Terror kämpfen, Frauenrechte verteidigen usw. - sollen dem bloß einen Mantel verpassen: Die Menschenrechte. Aber wer vom dummen Volk liest schon das Weißbuch? Köhler hat nur die Katze aus dem Sack gelassen, deshalb musste er gehen. Das Volk könnte ja sonst wirklich erkennen: Eigentlich führen die Konzerne die Kriege. Und zwar wegen ökonomischer Interessen. Und auch diese Frage muss man stellen: Wer liest heute noch Marx und Lenin?

Gleichgültig, wer Bundespräsident wird, er vertritt lediglich die Interessen der herrschenden Politik und der Wirtschaft. Es ist wie immer nur eine Abnickaktion der regierenden Parteien, die aber erneut verdeutlicht, der Bundespräsident ist ein Interessenvertreter der Einflussreichen und Etablierten und hat nur eine Marionettenfunktion in der deutschen Politikclownerie. Ein Anflug wirklicher Demokratie wäre vielleicht, das Volk über den Amtsinhaber entscheiden zu lassen. Und insgesamt ist diese menschenfeindliche und auf Sozialabbau gerichtete Politik ohnehin undemokratisch.

Deshalb auch weiterhin unser Protest, denn, wie Brecht feststellte: "Wer kämpft, kann verlieren, aber wer nicht kämpft, hat schon verloren." Lasst uns deshalb weiter kämpfen und noch mehr Mitstreiter für unsere gute Sache gewinnen.

Anmerkung:
Wen immer man auch fragt, man findet sehr wenige Leute, welche die gegenwärtige Politik billigen. Die allermeisten Leute empfinden sie als groben Mist, egal ob Krankenschwestern, Polizisten oder sonstwer. Aber sie wehren sich nicht. Worauf warten die Leute eigentlich noch? Warum halten diese Leute Gegenwehr nicht für nötig? Denn erkennbar wird Politik gegen den Willen einer Bevölkerungsmehrheit betrieben. Dafür gibt es viele Beispiele, hier sei nur verwiesen auf Euro-Einführung und Afghanistan. Die Mehrheit ist dagegen, dennoch wird 's gemacht. So viel noch zum Thema Demokratie.


Zitat

Besser als einer, der weiß, was recht ist, ist einer, der liebt, was recht ist; und besser als einer, der liebt, was recht ist, ist einer der Begeisterung fühlt für das, was recht ist.

Laotse



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ




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