Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 2 + Nr. 08 + 02. August 2010

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Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Einladung - 6 Jahre Montagsdemo Zeitz
  2. Bürgerarbeit weckt trügerische Hoffnungen
  3. Schlimme Pläne
  4. Zitat (Bertold Brecht)

Einladung
6 Jahre Montagsdemo Zeitz

Fast 6 Jahre existiert Hartz IV schon. Die Bevölkerungsmehrheit hielt Protest für nutzlos und hoffte, irgendwann endet der Sozialraub von selbst. Verbesserungen als Selbstläufer?

Diese Annahme war falsch. Andere taten viel in dieser Zeit - gegen die Bevölkerung.

Jetzt sind neue Anschläge auf Bevölkerung und Sozialstaat vorgesehen. Das Volk soll für die Krise jener zahlen, die sich an ihr bereicherten. Arbeitslose und Sozialleistungsempfänger als die schuldlos ärgsten Opfer dieser Krise sollen noch stärker ausgepresst werden, indem man ihnen für ihre magere und menschenunwürdige Sozialleistung - mit der man zwar überleben aber nicht leben kann - eine Zwangsleistung in Form unbezahlter Arbeit abfordert. Das nutzt weder den Arbeitenden, auf deren Entgelte, Lebens- und Arbeitsstandards damit starker Absenkungsdruck aufgebaut wird, noch den Arbeitslosen. Aber es bereichert erneut Nutznießer und Profiteure. Diese US-amerikanische Erfindung heißt "Workfare", aber die hat auch viele andere Namen. Der aktuellste deutsche Name dafür lautet "Bürgerarbeit".

Wer glaubt immer noch, das endet von allein? Warum dieses Zaudern? Ein altes Sprichwort sagt: "Dem Handelnden fällt der Besitz des Zauderers zu." Ihr habt gezaudert, aber jene da oben zaudern nicht, die handeln und enteignen euch auch weiterhin. Zaudert nicht, handelt! 6 Jahre Sozialkahlschlag sind ein guter Anlass, wieder aktiv zu werden. Kommt in Massen und bis zum Erfolg zur Montagsdemo!

Wir würdigen am 23. August 2010 um 17.00 Uhr auf dem Schützenplatz in Zeitz das 6-jährige Bestehen der Zeitzer Montagsdemo, gemeinsam mit aktiven, aufrechten, handelnden Zeitzer Bürgern und gleichgesinnten Gästen!

Macht mit!
Ihr seid herzlich eingeladen.


Bürgerarbeit weckt trügerische Hoffnungen

Die angeblich erwünschte "Eingliederung" Langzeitarbeitsloser in den 1. Arbeitsmarkt misslang bei den Ein-Euro-Jobs (EEJ's). Nun will man der Zwangsarbeit einen neuen Namen geben - "Bürgerarbeit" heißt nun das neue Zauberwort!

Bürgerarbeit hört sich zunächst nett an: Freiwilliges Engagement - "Bürger tun etwas für andere Bürger". Dabei sollen Arbeiten durchgeführt werden, die ohne Bürgerarbeit nicht erledigt würden. Das kennen wir ja bereits von EEJ's. Es sollen "marktferne" Aufgaben zugelassen werden, um Verdrängung regulärer Beschäftigung zu vermeiden. Auch das scheiterte bereits bei den EEJ's.

Betroffene sollen dabei ein Vier-Stufen-System durchlaufen. Im ersten Schritt sollen alle registrierten Arbeitslosen einer Region zu einem Beratungsgespräch in die zuständige Leistungsbehörde eingeladen werden. In einem Profiling soll geprüft werden, welche Chancen sie am ersten Arbeitsmarkt haben. Die Aktivitäten der zweiten Stufe zielen auf eine möglichst zeitnahe Vermittlung "marktnaher" Kunden ab.

In der dritten Stufe sollen Arbeitslose mit Qualifizierungsdefiziten Maßnahmen erhalten, um bestehende Vermittlungshemmnisse auszugleichen und die Chancen auf eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen. So bekommen auch die vielen Bildungsträger ein Stück vom zu verteilenden Finanzkuchen ab. Erst wenn auch diese Stufe nicht zur Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt führt - wovon auszugehen ist - soll Betroffenen Bürgerarbeit angeboten werden. Bürgerarbeit soll damit erst am Ende einer definierten Aktivierungskette stehen - wer 's glaubt, wird selig (siehe EEJ's).

Die Befürworter von Bürgerarbeit behaupten, es sei möglich, ohne nennenswerte Mehrkosten im nicht profitorientierten Bereich ausreichend Stellen zu schaffen, um sonst chancenlosen Arbeitslosen eine sozialversicherte sinnvolle Tätigkeit anzubieten und ihnen ihre Würde zurückzugeben. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Bürgerarbeit wird ein Mittel, den Druck auf Arbeitslose wie Arbeitende zu erhöhen. Arbeitslose sollen Instrument zum weiteren Lohndumping und durch Sanktionierungen aus dem Leistungsbezug gedrängt werden.

Bei Bürgerarbeit würde nur ein Entgelt in Höhe der Hartz-IV-Leistungen und ohne Freibeträge für Erwerbstätige die geförderte Arbeit nicht gegenüber dem Arbeitslosengeld II verteuern. Aus diesem Grund sind nur extrem niedrige Entgelte vorgesehen. Durch diese Differenz zwischen der Entlohnung regulärer Beschäftigung und Bürgerarbeit wird reguläre Arbeit verdrängt werden.

Bürgerarbeit können Betroffene nur unter Inkaufnahme von Sanktionen verweigern. Das dient auch der "Bereinigung" der Arbeitslosenstatistik. Bürgerarbeit wird als "angemessene Gegenleistung" für die Gesellschaft interpretiert, eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine den Bedürfnissen und Voraussetzungen der Betroffenen gemäße arbeitsmarktpolitische Unterstützung. Es ist nicht überzeugend, mit der wieder gewonnenen Würde der Menschen zu argumentieren, wenn es sich faktisch um Zwangsarbeit handelt. Das angebliche Ziel des langfristigen Erhalts der Erwerbsfähigkeit und beruflichen Qualifikation der Betroffenen ist unglaubwürdig, da nur ein enges Spektrum an Arbeiten in Frage kommt und außerdem begleitende Qualifizierung nicht vorgesehen ist.

Bürgerarbeit wird der Einstieg in weitere soziale Einschnitte werden. Der Gesetzentwurf zum Existenzgrundlagengesetz konkretisiert die Arbeitspflicht schon weiter. "Für beschäftigungssuchend gemeldete Personen, die keine Vollzeit-Arbeit finden [...], sind ergänzende Arbeitsgelegenheiten (AGH's) [...] in einem Umfang bis zur regelmäßigen Wochenarbeitszeit von vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten zu schaffen, zu deren Annahme diese Personen verpflichtet sind. Die AGH's können in verschiedenen Bereichen der Kommunalverwaltung, in kommunalen Eigenbetrieben, [...] aber auch bei privatrechtlich organisierten Dritten aller Art geschaffen werden".

Die geschaffenen AGH's sollen die Arbeits- und Gütermärkte möglichst wenig verzerren, jedoch wurde auf Forderungen wie Gemeinnützigkeit oder Zusätzlichkeit verzichtet; entfallen ist auch die Mehraufwandsentschädigung. In der Gesetzesbegründung heißt es weiter, dass Hilfesuchende "in einem durch Verwaltungsakt konstituierten [...] öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnis Dritten zugewiesen werden können". Sie erhalten auch dann keinen Arbeitsvertrag und üben keine sozialversicherte Tätigkeit aus.

Roland Koch in einem Interview am 16.01.2010 in der Wirtschaftswoche:
"Wir müssen jedem Hartz IV-Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertige Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung. [...] Es kann aber kein funktionierendes Arbeitslosenhilfe-System geben, das nicht auch ein Element von Abschreckung enthält. [...] Politik muss die notwendige Härte haben, solche fordernden Elemente einzuführen und durchzusetzen, weil sie die Gegenleistung für eine sehr großzügige Unterstützung der Bürger und Steuerzahler sind".
Also Arbeiten zum Nulltarif; sanktioniert wird, wer ablehnt.

Dabei gibt das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 09.02.2010 vor: "Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG [...] Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG wiederum erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern [...] Dieses Grundrecht [...] ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden [...] Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt [...] Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkommt, ist das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig."

Da die Regelleistung nach dem gesetzgeberischen Willen nur das Existenzminimum sichert, sind Sanktionen nach § 31 SGB II so lange unmöglich, wie ein über dieses Minimum hinausgehender finanzieller Spielraum nicht besteht. Ein solcher Spielraum bestünde nur, wenn auch hier die Freibeträge nach den §§ 11 und 30 SGB II gewährt würden. Dies bedeutet aber, Bürgerarbeit würde dem Staat mehr als das Arbeitslosengeld II kosten, was jedoch nicht gewollt ist.

Die Forderung kann deshalb nur lauten: Arbeitende müssen einen steuerfreien Mindestlohn von 10 €/Stunde erhalten. Es sollen Beiträge zu allen SV-Zweigen gezahlt werden (auch zur Arbeitslosenversicherung). Es müssen alle Arbeitnehmerrechte gelten (Bundesurlaubsgesetz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall etc.). Kann Erwerbslosen eine solche Beschäftigung - aus welchen Gründen auch immer - nicht angeboten werden, erhalten sie eine bedingungslos zu gewährende, den soziokulturellen Bedarf deckende staatliche Leistung - ohne Pflicht zur "Gegenleistung".

Schlimme Pläne

Der Gesetzentwurf zum Existenzgrundlagengesetz (EGG) konkretisiert die Arbeitspflicht weiter. "Für beschäftigungssuchend gemeldete Personen, die keine Vollzeit-Arbeit finden [...], sind ergänzende Arbeitsgelegenheiten (AGH's) in einem Umfang bis zur regelmäßigen Wochenarbeitszeit von vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten zu schaffen, zu deren Annahme diese Personen verpflichtet sind. Die AGH's können in verschiedenen Bereichen der Kommunalverwaltung, in kommunalen Eigenbetrieben, [...] aber auch bei privatrechtlich organisierten Dritten aller Art geschaffen werden". Die geschaffenen AGH's sollen die Arbeits- und Gütermärkte möglichst wenig verzerren, jedoch wurde auf Forderungen wie Gemeinnützigkeit oder Zusätzlichkeit verzichtet; entfallen ist auch die Mehraufwandsentschädigung. In der Gesetzesbegründung heißt weiter, dass Hilfesuchende "in einem durch Verwaltungsakt konstituierten [...] öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnis Dritten zugewiesen werden können". Sie erhalten auch dann keinen Arbeitsvertrag und üben keine sozialversicherte Tätigkeit aus.

Zitat

Es gibt Menschen, die kämpfen einen Tag,
und sie sind gut.

Es gibt andere, die kämpfen ein Jahr
und sind besser.

Es gibt Menschen, die kämpfen viele Jahre
und sind sehr gut.

Aber es gibt Menschen,
die kämpfen ein Leben lang.

Das sind die Unersetzlichen.

Bertolt Brecht



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ




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