Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 2 + Nr. 09 + 16. September 2010

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Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Datenschutz-Skandal bei der ARGE SGB II Burgenlandkreis
  2. 6 Jahre Montagsdemo Zeitz - Ein Bericht
  3. "Der hilflose Knabe" (Bertolt Brecht)

Datenschutz-Skandal bei der ARGE SGB II Burgenlandkreis
Großer Erfolg für Zeitzer und Weißenfelser Protestbewegung gegen Hartz IV

Steffen Hemberger - Mitglied des Offenen Runden Tisches Zeitz und Mitorganisator der Zeitzer Montagsdemo - staunte nicht schlecht, als ihm am 28.04.2010 eine sogenannte Mietbescheinigung von der ARGE ins Haus flatterte.

Damit sollte sehr umfassend sein baulicher Wohnstandard festgestellt werden. Insbesondere das Ergänzungsblatt dieser "Mietbescheinigung" hatte es in sich. Es wurden Dinge erfragt wie das Vorhandensein einer Türsprechanlage, Kabelanschluss, gefliestes Bad oder Dusche, Ausstattung des Fußbodens.

Steffen Hemberger war sofort klar, diese Angaben sind irrelevant zur Feststellung angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung. Dennoch forderte die ARGE deren Bekanntgabe. Zudem sollte nicht etwa der Leistungsbezieher, sondern der Wohnungsvermieter diese Mietbescheinigung ausfüllen.

Als Krönung enthielt diese Mietbescheinigung eine "Aufforderung zur Mitwirkung". Danach sollte innerhalb einer extrem kurzen Frist die ausgefüllte Mietbescheinigung bei der ARGE abgegeben werden, andernfalls folgten Sanktionen. Wörtlich:
Bitte beachten Sie:

Haben Sie bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen teilweise entzogen werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66, 67 SGB I). Dies bedeutet, dass sie geringere Leistungen erhalten.
Steffen rief die Hotline der ARGE an, um der Sache auf den Grund zu gehen. Dort erfuhr er, jedem Leistungsbezieher im Burgenlandkreis werde eine solche Mietbescheinigung zugestellt.

Die geforderte Formular-Ausfertigung durch den Vermieter ist ein Offenbarungszwang für nicht offenbarungspflichtige Sachverhalte - hier also des Hartz-IV-Bezuges gegenüber dem Vermieter. Das aber widerspricht datenschutzrechtlichen Bestimmungen der Bundesrepublik. Aber jeder Leistungsbezieher des Burgenlandkreises sollte dieses Formular von seinem Vermieter ausfüllen lassen! Jedenfalls aus ARGE-Sicht.

Dies veranlasste Steffen, über den Sachverhalt am 29.04.2010 den Datenschutzbeauftragten des Landes Sachsen-Anhalt zu informieren und Widerspruch gegen die Mietbescheinigung und Aufforderung der ARGE einzulegen. Inzwischen erfuhr auch Frau Heidelinde Penndorf (MdL, Die LINKE, Organisatorin der Weißenfelser Montagsdemo), während ihrer Sozialsprechstunden von diesen geforderten Mietbescheinigungen. Sie beurteilte die Mietbescheinigung ähnlich datenschutzverletzend wie Steffen und gedachte telefonisch einen Termin mit ARGE-Chef Herrn Lampe zu vereinbaren. Dabei stellte sich heraus, dieses Mietbescheinigungsformular wurde nicht von der ARGE sondern vom Landratsamt beauftragt. Frau Penndorf konnte vor Ort eine Verlängerung der äußerst knappen Rückgabefrist für diese Mietbescheinigung erreichen. Denn: Wohnt ein Vermieter z. B. in den westlichen Bundesländern, ist die Einhaltung einer einwöchigen Rückgabefrist unmöglich.

In einem Zwischenbericht ließ der Datenschutzbeauftragte bereits seine Bedenken zu diesem Sachverhalt erkennen und sicherte eine zügige Bearbeitung zu.

Am 03.08.2010 traf dann endlich die datenschutzrechtliche Bewertung zu der "Mietbescheinigung" bei Steffen Hemberger vom ORTZ ein. Der Inhalt lautet wie folgt:
Sehr geehrter Herr Hemberger,

danke für Ihre Nachfrage per E-Mail vom 1. August 2010!

Die Überprüfung des Datenschutzes bei der ARGE SGB II Burgenlandkreis habe ich mittlerweile mit einem Prüfbericht abgeschlossen. Darin befindet sich die folgende datenschutzrechtliche Bewertung des auch von Ihnen kritisierten Sachverhalts:

"Die Verwendung der 'Mietbescheinigung' ist datenschutzrechtlich bedenklich, weil sie in jedem Einzelfall erfolgt. Das führt dazu, dass von jeder Bedarfsgemeinschaft äußerst umfänglich personenbezogene Daten zur Wohnungssituation erhoben werden, die in einer Vielzahl von Fällen zur Feststellung der angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nicht erforderlich sind. Dies ist unverhältnismäßig und ein Verstoß gegen das Gebot der Datenvermeidung und Datensparsamkeit (§§ 1 Abs. 2 Satz 1 DSG-LSA, 78 b SGB X). Außerdem wird auf diesem Weg dem Vermieter die Hilfebedürftigkeit seiner Mieter unbefugt offenbart.

Es wird dringend empfohlen, nur in Zweifelsfällen die dann noch erforderlichen Daten mit Hilfe der 'Mietbescheinigung' (grundsätzlich beim Mieter) zu erheben - und es ansonsten bei den notwendigen Angaben aus dem Mietvertrag zu belassen. Das gilt insbesondere für alle Fälle, in denen die tatsächlichen Kosten der Unterkunft die 'Richtwerte' der Verwaltungsrichtlinie nicht überschreiten."

Die Stellungnahme der Geschäftsleitung zu dem Prüfbericht steht bislang noch aus.

Mit freundlichen Grüßen
i.A. Tönjes

Landesbeauftragter für den Datenschutz Sachsen-Anhalt
Dieses Schreiben machte den Skandal offenbar. Die Presse wird benachrichtigt und am 13.08.2010 erscheint ein Artikel zu diesem Thema auf der Titelseite der Mitteldeutschen Zeitung. Daraus wird ersichtlich, die Bewertung seitens des Landesdatenschutzbeauftragten wurde der ARGE bereits am 5. Juli zugestellt. Aber erst jetzt wurde das Versenden der gesetzwidrigen Mietbescheinigung an Leistungsbezieher eingestellt und bereits erhobene Daten sollen - so die Ankündigung - vernichtet werden. Nachdem die Information auch in die Öffentlichkeit gelangte!!! Zuvor hat die ARGE diese Formulare einen Monat lang weiterhin genutzt, gänzlich unbeeindruckt vom lange bereits vorliegenden Schreiben des Landesdatenschutzbeauftragten. Das ist ungeheuerlich! Ein unerhörter, empörender Vorgang!

Und es ist Grund zum Rücktritt, möglicherweise zur Abberufung der Verantwortlichen im Landratsamt und bei der ARGE. Deshalb schieben die sich nun gegenseitig die Schuld zu, nach dem Motto "Rette sich wer kann". Es geht um lukrative Posten!

Doch wir sagen den Verantwortlichen:

Sie haben in amtlicher Eigenschaft geltende Gesetze ungeachtet besserer Kenntnis, also vorsätzlich missachtet und damit Menschen Schaden zugefügt! Treffen Sie die einzig richtige, logische und verantwortbare Entscheidung: Räumen Sie Ihre Plätze bzw. Posten! Treten Sie zurück!

Die höchst bedeutsame Rolle der Aktivisten der Montagsdemo von Zeitz und Weißenfels bei der Entdeckung dieses Skandals blieb im genannten Presseartikel unerwähnt. Aber ARGE und Landratsamt hätten ihre ungesetzlichen Praktiken aus eigenem Antrieb wohl nicht unterlassen. Das Verdienst hieran kommt eher der entschlossenen Gegenwehr dieser Aktivisten zu. Nach allem Anschein wären andernfalls diese Vorschriften weiterhin mit Füßen getreten worden und Gesetzesbruch würde zwangsweise durchgesetzt! Wohlgemerkt gegenüber allen Leistungsbeziehern!

Das bisherige Ergebnis dieses Widerstandes ist ein großer Erfolg für die Aktivisten der Montagsdemos im Kampf gegen Hartz IV, Demokratie- und Sozialabbau!

Es widerlegt auch alle Skeptiker und Zweifler die stets die Wirksamkeit gemeinsamen Protests und solidarischer Gegenwehr bezweifeln oder gar bestreiten. Nein, Protest kann sehr wohl ein wirksames Mittel sein. Kein schnelles Mittel, aber mit Geduld, Ausdauer und Konsequenz lässt sich doch etwas Positives ausrichten. Dieser Erfolg der Montagsdemo-Aktivisten ist der Beweis!

6 Jahre Montagsdemo Zeitz
Ein Bericht

46 Demonstranten nahmen an diesem Jahrestag der Montagsdemo Zeitz teil. Es waren weniger als zu früheren Jahrestagen, so dass diesmal keine Demonstration durch die Straßen stattfinden konnte. Das war sicherlich nicht dem wechselhaften Wetter geschuldet, sondern eher der Resignation, Angst und Hilflosigkeit vieler von Hartz IV betroffener Menschen.

Zu den Gästen der Montagsdemo gehörten Edgar Schu aus Göttingen als Vertreter des Aktionsbündnis Sozialproteste (ABSP), welches auch vom Offenen Runden Tisch Zeitz (ORTZ) als Bestandteil bundesweiter Proteste gegen Hartz IV, Sozial- und Demokratieabbau unterstützt wird. Als weiterer Redegast folgte Dieter Kmietzcyk - ehemaliger Oberbürgermeister von Zeitz und Kreistagsabgeordneter - unserer Einladung.

Während der Demo wurde von Edgar Schu - die auch vom ORTZ unterstützte - bundesweite Forderung zur Schaffung eines gesetzlichen Mindestlohnes von 10 € brutto, lohnsteuerfrei aber sozialversicherungspflichtig, sowie nach einem Hartz IV-Eckregelsatz von 500 € erläutert und begründet. Steffen Hemberger prangerte die Verstöße gegen den Datenschutz durch die ARGE SGB II Burgenlandkreis an. Weitere Redebeiträge beschäftigten sich mit der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation Deutschlands, insbesondere Krise und Schein-Aufschwung. Dieter Rolle verlas sein Gedicht "Was brachten uns die vergangenen 20 Jahre?, orientiert an Heinrich Heines "Deutschland ein Wintermärchen ...".

Wir Montagsdemonstranten machen weiter!

"Der hilflose Knabe"

"Herr K. sprach über die Unart, erlittenes Unrecht stillschweigend in sich hineinzufressen, und erzählte folgende Geschichte:

Einen vor sich hinweinenden Jungen fragte ein Vorübergehender nach dem Grund seines Kummers. "Ich hatte zwei Groschen für das Kino beisammen", sagte der Knabe, "da kam ein Junge und riss mir einen aus der Hand", und er zeigte auf einen Jungen, der in einiger Entfernung zu sehen war. "Hast du denn nicht um Hilfe geschrien?", fragte der Mann. "Doch", sagte der Junge und schluchzte ein wenig stärker. "Hat dich niemand gehört?", fragte der Mann weiter, ihn liebevoll streichelnd. "Nein", schluchzte der Junge. "Kannst du denn nicht lauter schreien?", fragte der Mann. "Nein", sagte der Junge und blickte ihn mit neuer Hoffnung an. Denn der Mann lächelte. "Dann gib auch den her", sagte er, nahm ihm den letzten Groschen aus der Hand und ging unbekümmert weiter."

Bertolt Brecht (1932)



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ




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