Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 3 + Nr. 04 + 11. April 2011

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Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Auswirkungen der Streichung von Rentenbeiträgen für ALG II-Bezieher?
  2. Änderung bei den Sozialsprechstunden
  3. ORTZ trifft Landrat
  4. Über Mehrheiten (Zitat von Friedrich Schiller)

Auswirkungen der Streichung von Rentenbeiträgen für ALG II-Bezieher?

Bisher wurden in der Zeit des ALG II-Bezugs Beiträge an die Rentenversicherung abgeführt. Hierdurch wurde ein monatlicher Rentenanspruch von 2,09 € für ein Jahr des Bezugs aufgebaut und Wartezeiten erfüllt. Seit Januar 2011 entfallen die Rentenbeitragszahlungen für Bezieher von ALG II. Diese Zeiten werden fortan nur noch als Anrechnungszeiten und nicht mehr als Pflichtbeitragszeiten gewertet. Dies hat Auswirkungen auf die verschiedenen Rentenformen.

Es gibt verschiedene Formen der Altersrente, die unterschiedliche Wartezeiten (5, 15, 35 oder 45 Versicherungsjahre) erfordern. Anrechnungszeiten - wie die ALG II-Bezieher seit Januar erhalten - können bei Altersrenten nur auf die Wartezeiten für die Renten für langjährig Versicherte und für schwerbehinderte Menschen angerechnet werden; auf Regelaltersrente, Altersrente wegen Arbeitslosigkeit/Altersteilzeit sowie Altersrente für Frauen werden sie nicht angerechnet. Bei der Regelaltersrente werden die aufgrund wegfallender Beitragszahlungen für ALG II-Bezieher fehlenden Zeiten und Beiträge zu einer weiteren Senkung des ohnehin schon geringen Rentenniveaus führen. Weiterhin ist wichtig, dass die Minimalversorgung von 5 Jahre Beitragszeit im Laufe eines Erwerbslebens erreicht wird.

Die Renten für langjährig Versicherte und für schwerbehinderte Menschen setzten eine Wartezeit von 35 Jahren voraus. Auf diese können Anrechnungszeiten angerechnet werden. Die Bundesregierung geht davon aus, dass sich "der rentensenkende Effekt auf die große Mehrheit der von der Streichung der Beträge Betroffenen auswirken wird". Bei einer Durchschnittsrentenhöhe von 670 € (Jahr 2009) wird der Wegfall der Beitragszeiten aus dem ALG II-Bezug ebenfalls marginale Folgen für die Betroffenen haben.

Die Auswirkungen auf die Erwerbsminderungsrente sind komplexer. Grundsätzlich müssen in den letzten 5 Jahren vor dem Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre mit Pflichtbeitragszeiten belegt sein. Ist dies nicht der Fall, kann sich der Fünfjahreszeitraum um bestimmte Zeiten verlängern, z.B. um Anrechnungszeiten aus dem ALG II-Bezug. Bisher konnte während des ALG II-Bezugs ein Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente erworben werden, seit 2011 bleibt durch die Bewertung des ALG II-Bezugs als Anrechnungszeit ein bestehender Anspruch lediglich erhalten - ein erheblicher Nachteil.

Zum Erhalt eines Anspruchs auf Rentenleistungen, der bei Erwerbslosen ohne Anspruch auf ALG I nur noch durch das Hinzunehmen von Anrechnungszeiten besteht, müssen ALG II-Beziehende ihre Folgeanträge stets lückenlos stellen, da sonst u. U. nicht mehr auf die den Leistungsanspruch begründenden früheren Beitragszeiten zurückgegriffen werden kann. Auch müssen sich arbeitslose Personen, die keinen ALG II-Anspruch haben, z.B. aufgrund von Einkommen oder Vermögen oberhalb der Freibeträge, bei der BA für Arbeit arbeitssuchend melden, da diese Zeit ebenfalls zu den Anrechnungszeiten zählt.

Langfristig soll die Rentenversicherung nach dem Willen der Bundesregierung durch geringere Rentenzahlbeträge entlastet werden. Wie hoch diese Entlastung sein wird, ist noch nicht zu beziffern. 2011 bis 2014 führt die jetzige Maßnahme jedoch eher zu einer Belastung der Rentenkasse in Höhe von ca. 1,8 Milliarden Euro pro Jahr.

Änderung bei den Sozialsprechstunden

Vorerst werden keine Sozialsprechstunden stattfinden. Nach Informationen des ORTZ wird eine Lösung des Problems ab Mai vorbereitet.

Wir erhielten von Frau Heidelinde Penndorf (Die LINKE) folgende Presseerklärung:
Ich habe zwar für meine Partei im Burgenlandkreis das beste Wahlergebnis eingefahren und doch hat dieses Ergebnis nicht ausgereicht, um meine Arbeit im Landtag fortsetzen zu können. Das bedeutet, dass ich mein Wahlkreisbüro in Weißenfels, Naumburger-Str. 13, bis zum 30.04.11 auflöse.

Aus diesem Grund wird es in Weißenfels kein Wahlkreisbüro der Partei DIE LINKE und folglich auch keine Sozialsprechstunde für die Bürgerinnen und Bürger mehr geben können.

Ich bedanke mich für das jahrelange Vertrauen, welches mir von vielen Bürgerinnen und Bürgern entgegengebracht wurde.

Heidelinde Penndorf
Die Zeitzer Montagsdemonstranten und der Offene Runde Tisch Zeitz danken Frau Heidelinde Penndorf für die von ihr geleistete enorme Arbeit mit den Sozialsprechstunden, die sie auch außerhalb ihres eigenen Wahlkreises durchführte.

Wir wünschen Frau Heidelinde Penndorf weiterhin alles Gute.

ORTZ trifft Landrat

Vor einiger Zeit beanstandete der Landesdatenschutzbeauftragte nach entsprechenden Hinweisen aus den Reihen der Zeitzer Montagsdemo eine vom Landratsamt des BLK verfasste, zur Anwendung bei Hartz-IV-Empfängern vorgesehene und zur Vorlage bei den Vermietern und sodann bei der ARGE BLK bestimmte "Mietbescheinigung". Das löste einen erheblichen Skandal aus.

Nachdem eilig das Landratsamt Besserung gelobt hatte und um die Sache Ruhe eintrat, erschien ein inhaltsgleiches Formular mit dem gleichen soeben vom Landesdatenschutzbeauftragten verworfenen Ansinnen - freilich unter einer anderen Bezeichnung. Aus der "Mietbescheinigung" war nun eine "Selbstauskunft" Hartz-IV-Betroffener geworden. Inhaltlich wurde nichts geändert. Und: Nicht mehr der Vermieter, sondern die Hartz-IV-Empfänger selber sollten nun das "neue" Formular ausfüllen. Weiteres änderte sich nicht.

Daraufhin stellte ein aktives Mitglied der Zeitzer Montagsdemo in der Kreistagssitzung am 14.02.2011 dem verantwortlichen Landrat Reiche folgende Fragen:

"Das beanstandete alte Formular über die Wohnungsausstattung Hartz-IV-Betroffener stammt wie das neue aus Ihrem Haus und beide enthalten die punktgenau gleichen Fragen! Ungeachtet aller Beanstandungen des Landesdatenschutzbeauftragten gegen unnötige Datenerhebungen im Altformular!

Wollen Sie bitte die Gründe erläutern? Welche Bedeutung haben Fragen nach Türklingel- und Wechselsprechanlagen, Fußbodenbelag, Aufzug u. dgl. für die Heizkostenermittlung, welcher das Formular ja angeblich dienen soll? Wie sollen Befragte eigenverantwortlich feststellen, welche Fragen hier sachbezogen sind und welche entbehrlich oder unnütz und darum nicht entscheidungsrelevant? Warum werden unnütze Fragen dennoch gestellt?

Gegenüber der Presse erklärten Sie, das beanstandete Altformular werde sofort aus den Akten entfernt. Uns erklärten Sie, die Entnahme erfolge im Zuge der jeweiligen Aktenbearbeitung. Was soll nun wirklich gelten?"

Mehrere Wochen nach der Fragestellung schlug der Landrat dem Fragesteller ein persönliches Treffen zum Thema vor. Daran teilnehmen werde er selbst, Herr Lampe (Chef des Jobcenters Burgenlandkreis) sowie Herr Michel (Leiter des Dezernatsbereichs Landrat im Kreisamt) einerseits; anderseits sollten der Fragesteller sowie - nach dessen freier Entscheidung - noch 3 bis 4 Begleiter teilnehmen. Ein Gespräch wurde für den 29.03.2011 vereinbart.

Ergebnis: Der Landrat selber blieb begründungslos fern, die beiden anderen von seiner Seite Genannten erschienen. Weiter: Die mit dem Formular gewünschten Auskünfte seien eben nötig zur Bestimmung des Wohnungsstandards bei der Heizkostenermittlung! Es gäbe da ein noch zu benennendes Gerichtsurteil.

Bislang verbleiben hier also unvereinbare Ansichten. Bei gegebenem Anlass wird eine gerichtliche Klärung unvermeidlich werden, sofern derartige Auffassungsunterschiede zukünftig zwischen ARGE/Jobcenter und Hartz-IV-Betroffenen fortbestehen sollten.

Überhaupt: Beide Beauftragte des Landrats hielten alle unserseits nachgefragten Sachstände für ordnungsgemäß - sowohl die in der Kreistagssitzung am 14.02.2011 als auch die in dieser Runde am 29.03.2011. Rechtsquellen konnten sie bis auf weiteres nicht angeben, wollen dies aber schriftlich nachholen und sagten auch nochmalige Überprüfungen der vorgetragenen konkreten Einzelbeispiele zu. Zunächst sei anhand von Aktenzeichen, Namen und Anschrift formal und sachlich zu prüfen. Aber bitte sehr - das soll an uns nicht scheitern; sie erhielten die gewünschten Angaben. Über alles werde den Betroffenen schriftliche Nachricht zukommen. Auch würden neue Erkenntnisse in Arbeitsgruppen des Jobcenters ständig ausgewertet, die Mitarbeiter im Jobcenter würden fortlaufend geschult und belehrt, um die Arbeitsqualität ständig zu bessern. Nach unserem Eindruck ist davon wenig bis nichts zu bemerken.

Aber bemerkenswert ist: Unserem Hinweis auf die Unvereinbarkeit der BLK-Verwaltungsrichtlinie (über die Heizkostenberechnung Hartz-IV-Betroffener) mit dem diesbezüglichen Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) "begegneten" sie - mit angeblicher Unkenntnis dieses Urteils. Auch gebe es tausende Urteile mit unterschiedlichsten Aussagen. Doch gerade dieses entscheidende höchstrichterliche Urteil kannten sie eben leider, leider nicht! Obwohl die ganze Sache schon längere Zeit ansteht! Na sowas aber auch! So ein Pech! Wir nannten das Aktenzeichen und die Urteils-Leitsätze, welche den Pressemitteilungen des BSG zu entnehmen waren. Also: Die für derartige Fälle entscheidenden Kernaussagen des Urteils kannten sie nach eigenen Angaben überhaupt nicht, schon gar nicht das gesamte Urteil ... Aber sie wollen unsere Angaben zum Urteil überprüfen, wir erhalten zu gegebener Zeit schriftlichen Bescheid. Den der Landrat auf unsere Fragen auch noch nicht erteilte! Nur deshalb fand ja die besagte Unterredung statt.

Es wurden noch weitere Fragen gestellt, Klärung wurde bei keiner erreicht. Aber immerhin wollen sie zu allen Fragen Bescheid geben und Rechtsquellen nennen. Vom Landrat wurde uns bislang Derartiges nicht bekannt, der bleibt lieber unverbindlich-allgemein und legt sich nicht gern fest. Warten wir also die ausstehenden Antworten erstmal ab und sehen wir dann weiter.

Aber klar ist auch: Weitere Fragen und Nachfragen sollen und müssen gestellt werden, wenn Antworten unbefriedigend ausfallen. Das gilt natürlich auch, wenn Situationen entstehen, welche Fragen erforderlich machen.

Über Mehrheiten

"Die Mehrheit? Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn, Verstand ist stets bei wen'gen nur gewesen. Der Staat muß untergehen, früh oder spät, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet."

(Zitat von Friedrich Schiller, Demetrius (I))
Wird zu einem späteren Zeitpunkt nochmals kommentiert.



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ




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