Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 3 + Nr. 07 + 4. Juli 2011

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Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Verschärfungen beim Arbeitslosengeld II
  2. Beschimpfungen inklusive?
  3. Stadtreinigungsbetrieb wird privatisiert
  4. Abriss des Zeitzer Bahnhofes?

Verschärfungen beim Arbeitslosengeld II

Während ganz Deutschland diskutierte, ob eine Regelbedarfsanpassung" von 5 Euro ausreicht, wurde das SGB II im Schatten dieser Ereignisse auch in vielen anderen Bereichen "geändert". Für Leistungsberechtigte bedeutet das eine Verschärfung der Rechtslage.

Sanktionen gegen Erwerbslose werden erheblich erleichtert. Leistungskürzungen müssen nicht mehr angekündigt werden. Verstöße gegen per Verwaltungsakt auferlegte Pflichten können jetzt ebenfalls sanktioniert werden. Sanktionen müssen nicht mehr umgehend verhängt werden, sondern in einem Zeitraum bis zu 6 Monaten rückwirkend. Kürzungen von mehr als 100 % sind nun möglich.

Darlehen, auch Mietkautionen, werden mit 10 % des Regelbedarfs getilgt (bislang max. 10 %; Kautionen wurden bislang gar nicht getilgt, sondern bei Beendigung des Mietverhältnisses zurückgezahlt). Darlehen können an alle Mitglieder der BG, auch Kinder, gemeinsam gewährt werden. Zur Tilgung werden dann alle gesamtschuldnerisch herangezogen, wodurch über Jahre eine Bedarfsunterdeckung entsteht. Darlehen werden jetzt nur noch gewährt nach Abbau aller Rücklagen.

"Vermutet" die Behörde ein zukünftiges Einkommen des Leistungsberechtigten, können Sachbearbeiter sofort die Zahlung des Regelsatzes einstellen bzw. die Zahlungen entsprechend des zu erwartendem anrechenbaren Einkommens kürzen.

Zu viel gezahlte Leistungen werden ab sofort mit einer Kürzung des Regelbedarfs zwischen 10 und 30 % bis zur Abtragung der in der Vergangenheit zu viel gezahlten Leistungen "geahndet". Bislang musste das erst nach Beendigung der Hilfebedürftigkeit erstattet werden, wenn kein schuldhaftes oder grob fahrlässiges Verhalten vorlag. Dadurch kann wiederum eine erhebliche Bedarfsunterdeckung entstehen.

Leistungsbezieher müssen ab sofort einen Anteil für häusliche Anschaffungen (zur Zeit 52 Euro für einen Singlehaushalt) von den Regelleistungen zurücklegen. Legen Betroffene das Geld nicht zurück, kann das Geld vom Jobcenter einbehalten werden. Auch hier wird bewusst eine Bedarfsunterdeckung in Kauf genommen.

Für die Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung galt bislang die Rechtsprechung des BSG. Zukünftig können Kommunen durch eigene Satzungen die Wohnungskosten regeln. Dies wird dazu führen, dass Satzungen nach Kassenlage der Kommune beschlossen werden. Aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel der Kommunen sind hier weitreichende Kürzungen vorprogrammiert. Die entsprechenden Differenzbeträge werden Betroffene dann aus den Regelleistungen bezahlen müssen.

Leistungsnachzahlungen aus Überprüfungen unrechtmäßiger Bescheide der Vergangenheit können jetzt nur noch rückwirkend für ein Jahr und das laufende Jahr geltend gemacht werden. Bislang war eine Überprüfung der vergangenen vier Jahre möglich.

Bislang wurden einmalige Beihilfen (Wohnungserstausstattung, Schwangerschaft, Geburt, Klassenfahrten) bei Kenntnis der Behörde automatisch gewährt. Ab sofort müssen für alle Leistungen (auch die neuen Leistungen für Bildung und Teilhabe mit Ausnahme des Schulbedarfs) gesonderte Anträge gestellt werden. Leistungen werden nicht rückwirkend gewährt.

Beschimpfungen inklusive?

Wer als Hartz-IV-Empfänger die Mitteldeutsche Zeitung liest - allzu viele sind es ja nicht mehr - konnte dort am 24.05.2011 einen Artikel -  "Beschimpfungen inklusive" - lesen, worin die Mitarbeiter des Jobcenters ihr Leid klagten. Sie würden ständig von Hartz-IV-Empfängern beschimpft, niedergemacht und müssten dort um ihr Leben fürchten. Hintergrund ist ein tödlicher Zwischenfall in der Arbeitsagentur in Frankfurt (Main). Dort wurde eine aus Nigeria stammende Hartz-IV-Empfängerin von einer jungen Polizistin erschossen, weil sie mit einem Messer ihre Sachbearbeiterin angriff. Ihre Wut ist nachvollziehbar, sie hatte triftige Gründe. Gewalt ist zu verurteilen. Aber: Sie wurde völlig mittellos belassen, ohne Geld. Obwohl sie rechtmäßige Geldansprüche hatte! Sie wollte eine Barauszahlung erwirken, wurde aber abgewiesen und sollte nochmals und weiterhin auf eine Überweisung warten. Nach ihrem Tod musste selbst der dortige Leiter eingestehen, dies war nicht rechtens. Man hätte auszahlen müssen, weil sie erkennbar mittellos war, keinerlei Geld mehr hatte. Das war so. Demzufolge gingen ihr einfach die Nerven durch! Berechtigte Frage: Warum konnte die Polizistin ihr nicht einfach ins Bein schießen? War ein tödlicher Schuss unvermeidbar?

Dies alles nimmt das hiesige Jobcenter zum Anlass für Klage und Jammer über bösartige Hartz-IV-Empfänger. Als Reaktion auf diesen Artikel schrieb ein Mitglied des ORTZ folgenden Leserbrief:
...

Die konkret genannten Beleidigungen und Bedrohungen gegenüber Mitarbeitern des Jobcenters BLK mögen vielleicht unberechtigt erfolgt sein. Hinsichtlich der abgebildeten Mitarbeiterin Frau Kerstin Bergner darf dies sogar als sicher gelten - sie ist tatsächlich sehr bemüht und freundlich. Dies kann nicht allen Mitarbeitern nachgesagt werden.

Zudem ist die Rechtsmaterie schwierig. Schon von Anbeginn wurde das Hartz-IV-Recht ganz unzulänglich gestaltet - beispielhaft sei das nicht nur vom Bundessozialgericht monierte Rechtskonstrukt der Bedarfsgemeinschaften genannt. Ständig wurde das Rechtschaos noch weiter vergrößert. Viele Rechtstatbestände sind als unbestimmte Rechtsbegriffe "definiert" - "Angemessenheit", "pflichtgemäßes Ermessen" usw. Der Gesetzgeber leistete hier miserable Arbeit. Zufällig? Glaube ich nicht. Im Bundestag sitzen sehr viele Juristen, weit überrepräsentiert gegenüber ihrem Bevölkerungsanteil. Und dann diese Resultate! Kein unselbständig Beschäftigter in der freien Wirtschaft darf sich das erlauben. Anders als im praktischen Leben sind unselbständig Beschäftigte im Bundestag "natürlich" kaum vertreten - Beamte ausgenommen. Arbeiter oder Hartz-IV-Opfer sitzen dort überhaupt nicht. Auch zufällig?

Eine wesentlich andere Beschlusslage im Hartz-IV-Recht wäre jedenfalls gesichert, sofern die Befürworter der Hartz-IV-Gesetze in Bundestag und Regierung persönlich und - wie alle Hartz-IV-Betroffenen - streng kontrolliert gemeinsam mit ihrer Familie wenigstens ein Jahr lang unter solchen Bedinungen leben müssten. Ihre Diäten-Beschlüsse erlauben diese Prognose. Jedenfalls erschweren die "Erkenntnisse" des Bundestags den Sachbearbeitern und Leitern in den ARGEn die Tätigkeit. Solche Ausgangsbedingungen erfordern von ihnen neben hoher Sachkenntnis viel guten Willen. Ganz augenscheinlich fehlt beides oft. Hier benannte der Autor des Artikels verdienstvollerweise einige Beispiele aus der Praxis des Jobcenters BLK, u. a.:

Die Mitarbeiterin fragte ihren "Kunden", ob er sich Holz besorgen könne. Er bejaht - unverzüglich wird ihm die Heizungszulage gestrichen! Der Betroffene blieb beherrscht.

Alles war typisch. Und es war "nach Gesetz"! Denn Hilfebedürftige sind hiernach zu eigenen Anstrengungen verpflichtet, um ihre Bedürftigkeit zu beenden oder zu mindern! Alles klar? Doch existenzsichernde Arbeit kriegen sie nicht, dafür gibt 's kein Gesetz, im Gegenteil - Lohnabbau ist legal. Und da soll Empörung immer ausbleiben? Schikane und angestaute Misserfolgs-Belastungen erzeugen Wut - auch blinde Wut. Ausbrechender Zorn kann leider auch die Falschen treffen, wie im Leben oft. Wut mag falsch sein - aber grundsätzlich besserungsfähig ist das eben nur durch Bedingungsänderungen. Der Wille dazu ist bei den verantwortlichen Politikern bloß in Worten erkennbar. Die Bankenrettung z. B. wurde wesentlich gebefreudiger und unkomplizierter bewerkstelligt - wie auch Diätenerhöhungen der Mandatsträger.


Mit freundlichem Gruß
Wolfgang Vogl

Stadtreinigungsbetrieb wird privatisiert

Am 19.05.2011 beschloss der Zeitzer Stadtrat in seiner 17. Sitzung mehrheitlich die Umwandlung des Eigenbetriebes "Stadtreinigungs- und Servicebetrieb der Stadt Zeitz - SSBZ" in eine GmbH. Die Privatisierung schreitet also voran.

Das Stammkapital beträgt 25.000 €, die Liquidität beträgt 150.000 €. Desweiteren wurden Immobilien im Wert von 2 Millionen € in das Anlagevermögen dieser GmbH übertragen, um - so die Auskunft des jetzigen und zukünftigen Geschäftsführers Gast - die Kreditwürdigkeit des privatisierten Unternehmens zu sichern.

An dieser Stelle muss informiert werden, dass besagte Immobilien auf Kosten der Stadt Zeitz erworben wurden, das heißt auch auf Kosten der Zeitzer Bürger. Nun fließen sie in das Anlagevermögen dieser privateigenen GmbH ein!

Ein ungeheuerlicher Vorgang, denn:

Sollte der privatisierte Stadtreinigungsbetrieb aus irgend einem Grund - und Gründe gibt es viele - Konkurs anmelden müssen, diese Immobilien im Wert von 2 Millionen sind dann Teil der Konkursmasse und für die Stadt verloren!

Niemand soll da sagen, sowas könne nicht passieren. Oder würde dann die Stadt Zeitz - wiederum auf Kosten der Bürger - eine solche GmbH-Leiche verhindern bzw. wiederbeleben?

Die Mitarbeiter müssen zwar - lt. Gesetz für ein Jahr! - zu den bestehenden tariflichen Vereinbarungen übernommen werden. Für Arbeitskräfte-Neueinstellungen gilt dies nicht. Für zukünftige Tariferhöhungen aus dem bisherigen Tarifvertrag auch nicht. Hoch das Profitinteresse!

Abriss des Zeitzer Bahnhofes?

Eine weitere Entwicklung sorgt zur Zeit in Zeitz für Aufsehen.

Eine Anfrage der Stadt Zeitz bei der Deutschen Bahn AG zum desolaten Zustand des Zeitzer Bahnhofes erbrachte die Antwort, die Deutsche Bahn AG habe keine Verwendung mehr für den Zeitzer Bahnhof und der Abriss werde vorgeschlagen.

Hier erleben wir ein weiteres Beispiel für die Werteordnung privatisierter Wirtschaft. Allein Profit zählt und gilt! Bedürfnisse der Menschen sind allein als Profitquelle anstatt als Bedürfnis interessant. So lässt es sich erklären, warum die Deutsche Bahn AG nur noch Megaprojekte in Großstädten und Metropolregionen anstrebt, wie z. B. Stuttgart21 oder den Einkaufs- und Fresstempel des Leipziger Hauptbahnhofs. Nur die Profiterwartung zählt. Und in Zeitz ist der große Profit nicht zu erwarten.

Die eigentliche Aufgabe der Eisenbahn sollte sein: Menschen und Güter auf effiziente Weise möglichst großflächig zu transportieren. Das wurde irrelevant. Die Bahn zieht sich aus dem ländlichen und kleinstädtischen Bereich immer mehr zurück. Bahnhöfe werden stillgelegt und zu Ruinen, während die Schnellzüge auf nur wenigen Gleisen vorbeirauschen.

Das ist der Zwang der kapitalistischen Marktwirtschaft. Die Deutsche Bahn AG kann gar nicht anders handeln, Profit oder Untergang!

Macht die Privatisierung rückgängig, verstaatlicht Transportunternehmen im Allgemeininteresse!



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ




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