Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 3 + Nr. 12 + 1. Dezember 2011

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Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Die größten Irrtümer im Zusammenhang mit Hartz IV, 3. Teil
  2. Bürgerfrage an den Landrat, Antwort vom Landrat

Die größten Irrtümer im Zusammenhang mit Hartz IV
3. Teil:

Die Oma schenkt ihrem Enkelkind, dessen Eltern Arbeitslosengeld II beziehen, 100 € zum Geburtstag. Das Geschenk der Oma hat keine Auswirkungen auf die Höhe des Arbeitslosengelds II.

F A L S C H !!!

Die Dienstanweisung (DA) der Bundesagentur für Arbeit zu § 11 SGB II führt unter der Randziffer (Rz) 11.121 aus, dass "Geldgeschenke an Minderjährige anlässlich der Firmung, Kommunion, Konfirmation oder vergleichbarer religiöser Feste sowie anlässlich der Jugendweihe, privilegiert (anrechnungsfrei) sind, soweit sie 3.100 € nicht übersteigen." Von Geburtstag ist in den DA keine Rede.

Deshalb ist das Geldgeschenk eine einmalige Einnahme. Einnahmen - auch einmalige -, sind nur dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft 10 € innerhalb eines Kalendermonats nicht übersteigen. Diese Bagatellgrenze führt dazu, dass einzelne Einnahmen für sich betrachtet anrechnungsfrei bleiben, wenn sie 10 € monatlich nicht übersteigen; dies gilt auch für laufende Einnahmen (DA Rz 11.111).

Da die Geldzuwendung der Oma mit 100 € oberhalb der Bagatellgrenze liegt, mindert das Geschenk den Leistungsanspruch der Bedarfsgemeinschaft, da es sich um eine Geburtstagszuwendung und nicht um eine Zuwendung zur Jugendweihe, Firmung, Kommunion oder Konfirmation handelt.

Bürgerfrage an den Landrat,
Antwort vom Landrat

Wir hatten den Landrat gefragt, wie arbeitslose Pflicht-Teilnehmer an Bildungsmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt gefragte Kenntnisse erwerben sollen mit Grimassenübungen, Wiedergeburtsphantasien, Einkaufsübungen, Qi-Gong, Tai-Chi, Basteln, Fühlübungen, Ernährungsberatung, Elefanten zeichnen, Tischtennis spielen und ähnlichem.

Die Antwort des Landrates ist nach unserer Überzeugung ein zuverlässiges Abbild der tatsächlichen Meinung von Regierung und Bundestags-Mehrheit; sie ist nicht nur seine eigene Antwort, sondern ist auch die Antwort von Regierung und Bundestags-Mehrheit. Denn die Länder und Kreise "vollziehen ja nur", was dort beschlossen wurde. Die Kernaussage der Antwort ist, dass diese Maßnahme-Teilnehmer für den Arbeitsmarkt ungeeignet seien und dafür erst trainiert werden müssten. Darauf läuft seine Antwort hinaus.

Zunächst unsere Fragen an den Landrat:

[...]
  1. Auf welche Weise sehen Sie die Träger der vielfältigen Maßnahmen für Arbeitslose imstande oder zumindest hilfreich, mit u. a. folgenden Bildungsangeboten ihren Kursteilnehmern reale Einstellungschancen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu eröffnen:

    • Assoziation durch Theaterspiele (beispielsweise Fragespiele "Wenn Sie nochmal als Tier zur Welt kommen dürften, als welches Tier würden Sie dann gern geboren werden?"),
    • Bastelarbeiten,
    • Einkaufsübungen ("Kaufmannsladen spielen"),
    • Ernährungsberatung,
    • Exkursionen u. a. nach dem Einkaufscentrum Leißling,
    • gemeinsam Kochen,
    • Grimassenübungen,
    • gymnastische und andere sportliche Übungen,
    • Hör- und Fühlübungen,
    • Maßnahmen zur Stressbewältigung wie autogenes Training, Qi-Gong, Tai-Chi,
    • mehrfache Abfassung von Bewerbungsschreiben bei unterschiedlichen Dozenten unterschiedlicher Bildungseinrichtungen mit oft unvereinbaren oder sogar einander widersprechenden Inhalts- und Gestaltungsanforderungen für Bewerbungen,
    • Preisvergleiche vorgegebener Artikel in Einkaufseinrichtungen durchführen,
    • Tischtennis spielen,
    • Zeichenübungen (Elefanten und Schneemänner malen)?

  2. Wo eröffnen sich für derart weitergebildete Personen welche verbesserten Beschäftigungschancen? Welche in der Arbeitswelt gefragten Kenntnisse werden mit solchen Kursen vermittelt? Wer kontrolliert im BLK auf welche Weise die Träger dieser vielfältigen Maßnahmen für Arbeitslose? Kann sicher vermieden werden, dass die Träger dieser vielfältigen Maßnahmen für Arbeitslose für möglicherweise unbefriedigende Bildungsangebote im BLK Steuermittel erhalten?
Um schriftliche Antwort wird gebeten.

[...]


Jetzt die Antwort des Landrates:

11.10.2011

Kreistagssitzung am 19.09.2011
hier: Einwohnerfragestunde - Ihre Anfrage zu Bildungsinstituten


Sehr geehrter...

aufgrund der jeweils vorliegenden jährlichen Arbeitsmarkt Programme des JC BLK wurden u.a. auch Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit nach § 16 SB II in Verbindung mit Maßnahmen der Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach § 46 SGB III initiiert.

Die Teilnehmer in diesen Maßnahmen sind erwerbsfähige Leistungsberechtigte Frauen und Männer die als Arbeitsmarktfern eingestuft werden mussten, da sie sich in der Regel über einen längeren Zeitraum bzw. sehr langen Zeitraum nicht in einem Beschäftigungsverhältnis befanden.

Ziel dieser Maßnahmen ist nicht die sofortige Eingliederung in den 1. Arbeitsmarkt. Vielmehr müssen in den meisten Fällen erst einmal die entsprechenden Voraussetzungen für eine Möglichkeit der Eingliederung überprüft und geschaffen werden.

Die Ergebnisse der einzelnen Maßnahmeteilnehmer bilden die Grundlagen für weitere Aktivitäten wie z. B. Weiterbildung, Anpassungsqualifizierung und Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, ggf. ist der Ärztliche u. oder der Psychologische Dienst einzuschalten.

Inhaltlich konnten u.a. Maßnahmen mit folgenden Elementen beim zuständigen REZ eingekauft werden:
  • Heranführen der TN an den Arbeitsmarkt
  • Feststellung, Verringerung oder Beseitigung von Vermittlungshemmnissen
  • Vermittlung in eine versicherungspflichtige Beschäftigung
Bei Bedarf können die Elemente kombiniert werden.

Die Ausschreibung dieser Maßnahmen erfolgt über das Regionale Einkaufszentrum (REZ) Halle. In diesem Verfahren wird die fachliche Prüfung von ausgewählten Mitarbeitern des Jobcennters übernommen. Die Entscheidung über die Vergabe trifft letztlich das zuständige Einkaufszentrum.

Grundsätzlich werden vor Beginn der jeweiligen Maßnahme u.a. das einzusetzende Personal, die Räumlichkeiten und die laut Ausschreibung vorzuhaltende technische Ausstattung des Trägers durch Mitarbeiter des Jobcenters in Augenschein genommen. Während des Maßnahmeverlaufs werden weitere (auch unangemeldete) Maßnahmekontrollen durch Mitarbeiter des Jobcenters durchgeführt. Auch dem REZ obliegt jederzeit die Möglichkeit einer Maßnahmekontrolle. Durch die Kontrollen soll u.a. die in den Ausschreibungsunterlagen geforderte Qualität der Bildungsträger sichergestellt werden.

Die Verdingungsunterlagen enthalten je nach Art und Umfang der Maßnahmen u. a. eine Grobstruktur zum Inhalt und Ablauf der Maßnahme. Die inhaltliche Umsetzung obliegt dem Träger der Maßnahme.


Hinweis: Achtung, jetzt kommt die Kernaussage:

In Abhängigkeit der o. a. Maßnahmeelemente bieten die Träger neben der Akquise von Arbeits-, Praktikums und Ausbildungsplätzen auch Beratungs- und Betreuungsangebote mit der Vorgabe Hilfe zur Selbsthilfe an. Darunter versteht man natürlich auch die Vermittlung lebenspraktischer Inhalte, wie zum Beispiel Mobilitätstraining, gesunde Ernährung, Haushaltsplanung, Hygiene, Outfitberatung und Heranführung an sportliche Aktivitäten. (Da kann man doch nur PFUI! sagen) Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die genannten Inhalte für eine dauerhafte Integration auf dem Arbeitsmarkt unabdingbar sind.

Anmerkung: Es gibt noch immer keine existenzsichernd bezahlte Arbeit, aber Hartz-IV-Betroffene werden an den Arbeitsmarkt "heran geführt".

Bei Fragen und Problemen sollten sich die Maßnahmeteilnehmer zunächst an den Träger der Maßnahme wenden. Kann keine Klärung herbeigeführt werden, steht der zuständige Arbeitsvermittler des Jobcenters als Ansprechpartner zur Verfügung.

Anmerkung: Diese Leute werden sich hüten, das zu tun, denn wer will schon als Hartz-IV-Opfer zusätzliche Schwierigkeiten bekommen zum bereits anstehenden Dauer-Ärger mit dem Leistungsträger?

Da keine konkrete Maßnahme oder ein Teilnehmer an einer Maßnahme benannt wurde, kann eine weitergehende Antwort nicht erfolgen.

Mit freundlichen Grüßen
Harri Reiche


 Antwortschreiben des Landrates (PDF)
(Hervorhebungen durch den ORTZ, orthographische Fehler laut Original)

Das schrieb der Landrat! Und der Landrat schreibt nur, was der Bundestag beschließt und begründet. Der vom deutschen Volk gewählte Bundestag, so muss man leider feststellen. Der Landrat gibt ganz sicher ausschließlich offizielle Ansichten wieder. Zu verantworten hat es die Mehrheit des Bundestages, die das beschlossen hat. Nochmal die Kernaussage der Antwort zusammengefasst: Die Teilnehmer an diesen Maßnahmen seien schlicht zu verblödet für den "Arbeitsmarkt". Was bedeutet denn "arbeitsmarktfern" sonst anderes? Darauf läuft es hinaus. Sie müssen ja "lebenspraktische Inhalte" erlernen, z. B. Hygiene! Das halten die von Hartz-IV-Opfern!!! Auch wenn sie es schön formuliert umschreiben. Und: Arbeit - gar mit existenzsichernden Einkommen - bringt solch eine Maßnahme keinesfalls, selbst wenn die Leute sie gut hinter sich brachten.



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ




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