Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 4 + Nr. 06 + 1. Juni 2012

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Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Zukünftig keine amtliche Zustellung der Folgeanträge mehr?
  2. Berliner Sozialgericht: Hartz IV-Regelsätze sind grundgesetzwidrig
  3. Zeitzer "Sanierung" mit der Axt

Zukünftig keine amtliche Zustellung der Folgeanträge mehr?

Seit Einführung von Arbeitslosengeld II werden Leistungen für jeweils 6 Monate gewährt. Vor Ablauf des Bewilligungszeitraums muß ein Weiterbewilligungsantrag gestellt werden. Das entsprechende Formular inklusive Anlagen stellte das Jobcenter bislang den Leistungsberechtigten vor Ablauf des Bewilligungsabschnittes postalisch zu.

Nach Übernahme des Jobcenters Burgenlandkreis in den kreiseigenen Eigenbetrieb verdichten sich Hinweise, daß dieses Verfahren nun ohne Information der Betroffenen eingestellt werden soll. Anscheinend hält es das Jobcenter Burgenlandkreis für unnötig, die Betroffenen über diese gravierende Änderung zu informieren.

Für die Leistungsberechtigten geht es jedenfalls um ihre materielle Existenz. Eine Leistungskürzung oder -sperrung bedeutet für sie zumeist eine individuelle Katastrophe. Dennoch sollen sie vermutlich nicht informiert werden!

Diese Vorgehensweise dürfte juristisch fragwürdig sein: Durch die Beendigung des Bewilligungsabschnittes erschließt sich dem Jobcenter unmittelbar ein bestehender Hilfebedarf. Im Rahmen seiner allgemeinen Beratungspflicht nach § 14 SGB I und der spezifischen Beratungspflicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB II muß das Jobcenter auf das "drohende Übel" hinweisen, daß möglicherweise im Folgemonat kein Geld fließt. Der Begriff "hinweisen" ist sozialrechtlich dahingehend auszulegen, daß dem Betroffenen die entsprechenden Folgeanträge zuzusenden sind.

So verfährt schließlich jeder andere Sozialleistungsträger auch, z. B. Kindergeldkasse, Wohngeldstelle, Jugendamt etc.. Unterläßt das Jobcenter Burgenlandkreis zukünftig die Übersendung von Folgeanträgen, ist dies ein Verstoß gegen die Beratungspflichten des Jobcenters. Entstehen Leistungsberechtigten durch diesen Rechtsbruch wirtschaftliche Schäden, wie Mahngebühren oder Stornokosten von geplatzten Abbuchungsaufträgen, muß das Jobcenter diese im Rahmen der Amtshaftung (§ 839 BGB) bzw. über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ersetzen.

Berliner Sozialgericht:
Hartz IV-Regelsätze sind grundgesetzwidrig

Nach einer Entscheidung des Berliner Sozialgerichtes vom 25.04.2012 (Az. S 55 AS 9238/12) verstoßen die Hartz-IV-Regelsätze u. U. gegen das Grundgesetz. Die Richter des größten deutschen Sozialgerichts riefen deshalb das BVG (Bundesverfassungsgericht) an.

Nach Auffassung des Sozialgerichts erhalten die rund 6,7 Millionen Hartz-IV-Bezieher in Deutschland eventuell zu niedrige Hilfeleistungen. Das Sozialgericht in Berlin legte in einem 28-seitigen Beschluß vom 25. April 2012 die seit 2011 geltenden gesetzlichen Neuregelungen zur Berechnung der Hartz-IV-Leistungen dem BVG in Karlsruhe zur Prüfung vor.

Die Hartz-IV-Reform enthalte »massive Fehler«

Die Hartz-IV-Reform enthalte zahlreiche »massive Fehler«, so daß von einem verfassungswidrigen Gesetz auszugehen sei, sagte Gunter Rudnick, Vorsitzender Richter der 55. Kammer. Das im Grundgesetz geschützte menschenwürdige Existenzminimum sei mit den bestehenden Vorschriften nicht gewährleistet.

Nach Rechnung des Sozialgerichts müßte ein erwachsener alleinstehender Hartz-IV-Bezieher 36,07 Euro monatlich mehr erhalten. Derzeit liegt der Regelsatz bei 374 Euro (2011 waren es 364 Euro) monatlich.

Im konkreten Fall hatte eine dreiköpfige Familie aus Berlin-Neukölln geklagt. Der Vater hatte krankheitsbedingt seine Arbeit verloren und bezog seit August 2008 Arbeitslosengeld II. Seit September 2011 erhält er zusätzlich zu Hartz IV eine geringe befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Doch diese Einkünfte konnten den Bedarf der Familie ebenso wenig decken wie die Einnahmen der Mutter aus ihrer geringfügigen Beschäftigung und das Kindergeld für den 16-jährigen Sohn.

Trotz größter Sparsamkeit reiche das Geld vielfach nicht bis Monatsende. Die klagende Familie trug vor, sie könne ihre Ausgaben mit den erhaltenen Hartz-IV-Leistungen nicht decken. Sie müsse regelmäßig ihren Dispokredit voll ausschöpfen und Privatdarlehen in Anspruch nehmen.

Das Sozialgericht stellte fest, die Hartz-IV-Leistung sichere das soziokulturelle Existenzminimum der Familie nicht und sei verfassungswidrig. Der Staat müsse nicht nur die physische Existenz von Hilfebedürftigen in Form von Nahrung. Kleidung oder Unterkunft sichern, auch die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und die Mindestteilhabe am gesellschaftlichen Leben müsse möglich sein.

Das Existenzminimum muß transparent festgelegt werden

Dies ergebe sich aus dem Urteil des BVG vom 9. Februar 2010 (Az. 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09). Die Karlsruher Richter hatten vor einem Jahr die bis dato gültige Berechnung der Hartz-IV-Sätze für verfassungswidrig erklärt. Was Menschen für ihr Existenzminimum brauchen, solle der Gesetzgeber transparent und nachvollziehbar festlegen und die Hartz-IV-Sätze daran ausrichten.

Doch an einer transparenten und nachvollziehbaren Berechnung hapert es, befand das Sozialgericht Berlin. Schwerwiegende Fehler gebe es bei der Auswahl der Referenzgruppe, nach der die Höhe des Existenzminimums und damit der Regelleistung berechnet wird.

Der Gesetzgeber hat die Hartz-IV-Sätze nach den Einkommen und Ausgaben der unteren 15 Prozent der Einkommensbezieher berechnet. Vor der Reform waren es noch die unteren 20 Prozent. Warum diese Referenzgruppe zugrundegelegt wurde, ist laut Sozialgericht »nicht nachvollziehbar«. Das BVG hatte bei der Bildung der Referenzgruppe aber klare Vorgaben bestimmt. So dürfen Haushalte nicht in der Referenzgruppe aufgenommen werden, deren Nettoeinkommen unter den Leistungen von Hartz IV und der Sozialhilfe liegen. An diese Vorgaben habe sich der Gesetzgeber bei der Bildung der Referenzgruppe nicht gehalten, rügten die Berliner Richter.

Gleiches gelte für Menschen in verdeckter Armut. Diese haben kein Hartz IV beantragt, obwohl sie darauf Anspruch hätten. Zudem zählten Bafög-Studenten in der Referenzgruppe unzulässigerweise mit. Folge dieser Mängel sei, daß der für das Existenzminimum ermittelte Satz nach unten gedrückt wird. Geringere Hilfeleistungen seien die Folge.

Wie aus dem Hartz-IV-Regelsatz noch langlebige Konsumgüter angespart werden können, ist dem Sozialgericht ein Rätsel. Monatlich sind hierfür 2,66 Euro vorgesehen. Damit könne sich ein Haushalt der Referenzgruppe nur alle 70 Jahre entweder einen Kühlschrank oder eine Waschmaschine kaufen.

Auch den nicht ausreichend begründeten Ausschluß einiger Gütern und Dienstleistungen aus dem Regelsatz hält das Sozialgericht für verfassungswidrig. So ist der Kauf von Alkohol nicht mehr beim Arbeitslosengeld II berücksichtigt. »Die Flasche Wein oder Sekt als im deutschen Kulturkreis angemessenes Geschenk« sei nicht enthalten, obwohl das BVG die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zum Existenzminimum zählt.

Bedarf für Minderjährige willkürlich bestimmt

Das Sozialgericht rügte, der Bedarf für Minderjährige sei nicht ausreichend ermittelt und willkürlich bestimmt. Bei Jugendlichen ging der Gesetzgeber davon aus, daß diese genauso viel rauchen und Alkohol trinken wie Erwachsene. Da diese Posten nicht von Hartz IV gedeckt werden, wurde die Hilfeleistung um zehn Euro abgesenkt. Aber nur etwas mehr als zehn Prozent der Jugendlichen konsumieren einmal wöchentlich Alkohol oder Tabak.

BVG und Gesetzgeber in der Pflicht

Die Regelsätze wurden, nachdem das BVG sie am 9. Februar 2010 für grundgesetzwidrig erklärt hatte, von der Bundesregierung und der SPD nach langen Verhandlungen zum 1. Januar 2011 angehoben.

Nach der Entscheidung des Berliner Sozialgerichts forderten Wohlfahrtsverbände wie die Arbeiterwohlfahrt, die Diakonie und der Paritätische Wohlfahrtsverband von der Bundesregierung eine Neuberechnung der Regelsätze.

Quelle: Neues Deutschland vom 23.05.2012

Zeitzer "Sanierung" mit der Axt

Ständig werden in Zeitz fragwürdige Entscheidungen getroffen, um angebliche Verbesserungen für die Stadt zu bewirken. Manche Zeitzer erregt derzeit die vorgesehene Fällung von 4 über einhundertjährigen Bäumen - um ein altes Kirchengebäude in ein "besseres Licht" zu rücken!

Das reiht sich ein in eine ganze Anzahl ähnlicher Vorgänge: Im Platanenweg z. B. wurden etwa 20 kerngesunde Platanen auf Stadtkosten gefällt, "um Raum und Licht zu schaffen"!

Auch die geplante "Umgestaltung" des Mahnmals für die Opfer des Faschismus (OdF) gehört in diese Aufzählung katastrophaler Fehlentscheidungen. Dieses Mahnmal stand jahrzehntelang an seinem dominanten Standort vor dem Rathaus der Stadt Zeitz, um immer an das größte Verbrechen in Deutschlands Verantwortung - den Faschismus - mahnend zu erinnern und der Opfern zu gedenken. Es wird nun geplant, um das Rathaus-Ensemble "besser zur Geltung zu bringen" und ungestörten Blick auf das Rathaus zu ermöglichen, den Platz umzugestalten, das Mahnmal aus seiner angestammten und dominanten Position zu entfernen und abseitiger sowie niedriger - erniedrigt also - wieder aufzustellen! Die Erlaubnis der zuständigen Denkmalschutzbehörde liegt zwar noch gar nicht vor - und wurde wohl auch bisher überhaupt noch nicht beantragt - aber das Mahnmal wurde bereits geschliffen. Die Inschrift am Sockel wurde unter fadenscheinigen Gründen bereits entfernt, als die Figurengruppe zur Reparatur in den Herstellerbetrieb gebracht wurde. Auch der Sockel soll alsbald abgerissen werden, wegen seines "Zustandes". Der "Zustand" wurde bislang niemals vor dem Stadtrat gutachterlich belegt! Alles fußt somit auf einsamen Erkenntnissen des OB - ohne Stadtratseinbindung!

Wir meinen: dies alles hat nichts zu tun mit Unfähigkeit, sondern eher mit Interessenzielen.

Bemerkenswert: Diese Vorgänge fallen allesamt in die Amtszeit des zugewanderten neuen Oberbürgermeisters Dr. Kunze (FDP). Widerstand seines Vorgesetzten, des Zeitzer Stadtrates bzw. dessen Mehrheit gegenüber solchen Entwicklungen ist leider nicht erkennbar. Auch die öffentliche Wahrnehmung ist gering. Die großen Platanen sind gefallen, dem OdF-Mahnmal werden Würde und Bedeutung gemindert oder genommen. Die 4 großen Bäume sollen als nächstes "dran kommen".

Das alles ist wohl nur möglich wegen der relativ großen Gleichgültigkeit und Resignation der Zeitzer Bürger - bis auf wenige Ausnahmen. Werden bürgerferne Entscheidungen aber das Gemeinwohl bessern? Wie lange und wie oft wird die Axt noch geschwungen werden, bis die Bürger erkennen, daß ihre eigene Zukunft in eigener Hand liegen und selbstbestimmt sein muß, wenn sie im eigenen Interesse gestaltet werden soll?



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ


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