Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 4 + Nr. 10 + 1. Oktober 2012

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Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Bundesregierung zementiert Altersarmut
  2. Neues aus den Gerichten: Jobcenter muß doppelte Miete nicht zahlen
  3. Neues aus den Gerichten: Jobcenter kommt nicht für Nahrungsergänzungsmittel auf
  4. Brauchen Zeitarbeiter Benimmregeln?

Bundesregierung zementiert Altersarmut

Ursula von der Leyen - die Schaumschlägerin Nr. 1 der Bundesregierung - hat sich wieder etwas Neues ausgedacht. Zuschuß-Rente heißt ihr "Zauberwort" für die Altersarmutsbekämpfung.

Wer ein ganzes Erwerbsleben arbeitet, mindestens 2.500 € verdient und keine Zeiten der Unterbrechung hat, wie z. B. Arbeitslosigkeit, kann künftig gerade mit einer Rente geringfügig über der Grundsicherung rechnen. 2030 sollen hiervon bereits mindestens 1,3 Millionen betroffen sein. Aber nach statistischen Erhebungen haben 67 % der Beschäftigten in den neuen Bundesländern Verdienste unter diesem Betrag.

Hier soll nun die Zuschuß-Rente ansetzen. Wer 35 Jahre in die Rentenkasse einzahlt und privat vorsorgt, dem soll die gesetzliche Rente notfalls aufgestockt werden. Kleine Einkommen seien schon ab 5 € beim "Riestern" dabei, so die Ministerin. Nur "vergaß" Frau Ministerin, daß in Ostdeutschland Millionen Menschen arbeitslos sind oder in Beschäftigungsverhältnissen so wenig verdienen, daß sie "aufstockend" Arbeitslosengeld II erhalten oder nur geringfügig mehr verdienen. Diese Betroffenen haben bestimmt kein Geld übrig, um es der Versicherungsbranche zur Erhöhung ihrer Profite in den Hals zu werfen.

Die Zuschuß-Rente, so Frau von der Leyen weiter, erhalte nur, wer "im Leben ordentlich was geleistet habe". 35 Jahre in die Rente eingezahlt haben aber gerade im Osten die wenigsten. Zeiten langer Arbeitslosigkeit gehören hier durchaus zur üblichen Erwerbsbiographie.

Spätestens seit dem Paket "Bildung und Teilhabe" für Kinder von ALG-II-Empfängern wissen wir, daß heiße Luft das Markenzeichen von der Leyens ist. Anstatt Kinderarmut nachhaltig zu bekämpfen, bekommen Betroffene mal einen Euro fürs Essengeld zugeschossen - natürlich erst, nachdem sie dreimal vergeblich 5 € Fahrgeld investiert haben, um das Amt zur Bearbeitung ihres Antrags zu animieren.

Gleicher Scheinaktionismus nun bei den "Alten": Anstatt für nachhaltige Bekämpfung der Altersarmut zu sorgen, z. B. durch gesetzliche Mindestlöhne, durch eine Mindestrente oder durch gesetzliche Pflicht-Rentenversicherung für alle - auch Selbständige, Beamte und Gutverdiener - legt von der Leyen ihre geistigen Ergüsse einer "Zuschuß-Rente" vor, die ohnehin kaum jemand bekommen wird, da die wenigsten die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen werden.

Angesichts der Tatsache, daß "Supernanny" von der Leyen ständig auf die private Altersvorsorge verweist, muß die Frage erlaubt sein: Welche Lobbyisten der Versicherungsbranche haben da wohl im Ministerium vorgesprochen und dort erfolgreich ihr Ansinnen vorgetragen?

Neues aus den Gerichten

Jobcenter muß doppelte Miete nicht zahlen

Muß ein Hartz-IV-Bezieher wegen eines Umzugs Doppelmieten bezahlen, muß das Jobcenter diese in der Regel nicht erstatten. Vielmehr sind Langzeitarbeitslose verpflichtet, Doppelmieten zu vermeiden, urteilte das Sozialgericht Berlin am 31. Mai 2012 (Az. S 150 AS 25169/09). Nur wenn die sich überschneidenden Mieten unvermeidbar sind, könne das Jobcenter diese ausnahmsweise übernehmen.

Im konkreten Fall wurde ein Hartz-IV-Empfänger vom Jobcenter aufgefordert, seine Unterkunftskosten zu senken. Der Familienvater fand zum 1. März 2009 eine günstigere Bleibe. Da er seine alte Unterkunft noch nicht gekündigt hatte, fielen bis zum Ablauf der dreimonatigen Kündigungsfrist auch hier weiter Mietzahlungen an. Das Jobcenter zahlte jedoch nur einen Monat lang die Doppelmieten.

Der Kläger verlangte die Erstattung aller so entstandenen Doppelmieten. Ihm sei es nicht zuzumuten gewesen, zunächst die alte Wohnung zu kündigen und erst danach eine neue zu suchen.

Das Sozialgericht entschied: Auch wenn der Kläger vom Jobcenter zum Umzug aufgefordert wurde, berechtige dies nicht, »um jeden Preis die nächstbeste Wohnung anzumieten«.

Jobcenter kommt nicht für Nahrungsergänzungsmittel auf

Wer Grundsicherung vom Staat bezieht, bekommt nach einem Urteil des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen kein zusätzliches Geld vom Jobcenter für Nahrungsergänzungsmittel. Diese Mittel, wie hoch dosierte Vitamin- oder Mineralstoffe, gelten nicht als medizinisch notwendige Ernährung, teilte das Gericht in Celle am 26. Juni 2012 mit (Az. L 9 AS 585/08).

Ein Mann hatte den Angaben zufolge vom Jobcenter zusätzliche Unterstützung verlangt und zunächst Klage beim Sozialgericht Braunschweig eingelegt. Der behandelnde Arzt habe die Nahrungsergänzungsmittel wegen verschiedener Erkrankungen wie Fettsucht und Bluthochdruck für erforderlich gehalten. Dadurch habe er mehr Ausgaben, argumentierte der Kläger.

Das Landessozialgericht folgte dem nicht. Bei den Erkrankungen des Mannes sei keine besondere Diät oder Ernährung notwendig. Es reiche, wenn er sich ausgewogen ernähre. Die Kosten für medizinisch notwendige Arzneimittel übernehme die Krankenkasse.

Brauchen Zeitarbeiter Benimmregeln?

Im Internet wirbt eine Webseite für Zeitarbeit.

Link zum "Zeitarbeit-Zentrum": http://zeitarbeit-zentrum.de/Arbeitnehmer/Regeln-fuer-Zeitarbeiter.php

Dort ist eine "Infothek für Arbeitnehmer" einsehbar, insbesondere für Zeitarbeiter. Es werden "Regeln für Zeitarbeiter" veröffentlicht. Zitieren steht unter dem ausdrücklichen Genehmigungsvorbehalt des Seitenbetreibers; somit dürfen wir nur sinngemäß wiedergeben, was dort steht:

Zunächst wird erklärt, warum es notwendig ist, Zeitarbeiter auf Loylität und Anstand hinzuweisen.
Anmerkung des ORTZ: Aus deren Sicht scheinen Zeitarbeiter etwas verblödet zu sein. Oder warum sonst schreiben die so etwas?
Dann geht es aber los mit den Benimm- und Verhaltensregeln für Zeitarbeiter. Zunächst die Körperhygiene: Zeitarbeiter sollen (mindestens) 1x täglich duschen, 2x die Zähne putzen, sie sollen Toilettenpapier benutzen und nach dem Toilettenbesuch unbedingt die Hände waschen.
Anmerkung des ORTZ: Es ist hilfreich, wenn diese "Arbeitgeber" das den Zeitarbeitern vermitteln. Denn die Eltern der Zielgruppe werden ihrem Nachwuchs sowas gewiß nicht beigebracht haben. Eine Verhöhnung ohnegleichen! Zur Entrechtung und krassesten Ausbeutung noch Hohn obendrauf!
Weiterhin wird erläutert, daß Rauchen den Job kosten kann. Denn wer raucht, stinkt auch, so das Zeitarbeit-Zentrum, und muß sich über eine Kündigung nicht wundern.
Anmerkung des ORTZ: Das ebenfalls angesprochene Alkoholverbot am Arbeitsplatz ist nun wirklich für jeden selbstverständlich!
Die Regeln setzen sich fort: Zeitarbeiter müssen ihrer Firma gegenüber immer loyal sein. Wer sich über seinen Chef beschwert, dem werden rechtliche Schritte wegen über Nachrede angedroht. Wer sich über seine Situation als Zeitarbeiter beschwert, wird als "Problemmitarbeiter" klassifiziert, der als Kandidat für eine mögliche Festeinstellung automatisch ausscheidet. Zynisch wird die Frage gestellt, warum Zeitarbeiter wird, wer dies nicht gut findet.

Zeitarbeiter haben außerdem stets zu lächeln und zu winken, also gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Der Kunde (gemeint ist der Entleiher der Zeitarbeiter) habe den Luxus, Zeitarbeiter nach Gutdünken zu scheuchen; denn wer zahlt, bestimmt uneingeschränkt!

Aus diesem Machwerk noch ein weiterer Hinweis bezüglich der Arbeitszeit:
Gleitzeitkonten in der Zeitarbeit haben nicht den Zweck, diese gelegentlich abzufeiern. Man habe so lange beim Kunden (Entleiher der Zeitarbeiter) im Einsatz zu bleiben, wie der will. Dieser "Kunde" steht im Mittelpunkt, um den sie sich zu drehen haben. Ob ihre "Dienstleistung" nun 35 Stunden oder 50 Stunden dauert, ist dabei egal.
Anmerkung des ORTZ:
Wenn man sowas liest, dann erinnert es uns an die deutsche Geschichte. Da gab es auch ausgegrenzte, rechtlose Menschengruppen, von denen man sagte, die taugen nichts. Oder sie wurden sogar als Verbrecher bezeichnet. Die mußten sich dann extra kennzeichnen. Vielleicht kommt sowas wieder 'mal? Vielleicht bekommen Zeitarbeiter und Arbeitslose auch wieder 'mal eine spezielle Kennzeichnung? Sowas wie auf dieser Internetseite ist der Anfang von dem, was wir in der deutschen Geschichte schon einmal hatten!

Man muß noch etwas zum Interneteintrag des Verbandes der Zeitarbeitsfirmen anmerken, oder wer immer das ins Netz stellte. Es ist ganz unverkennbar: die Zeitarbeiter werden ganz mies bezahlt, da kann von einem leistungsgerechten Lohn keinerlei Rede sein. Aber die Verdienstspannen der Zeitarbeitsfirmen werden wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Kein Uneingeweihter erfährt deren Höhe.

Das leuchtet auch ein: Denn wer derart miese Löhne zahlt, aber gut kassiert - ohne eigene Leistung, nur durch Vermietung fremder Arbeitskraft - würde erklären müssen, warum das so ist. Marx analysierte die Gesellschaft, insbesondere den Kapitalismus: Die einen müssen ihre Arbeitskraft verkaufen an die Produktionsmittelbesitzer.

Aber da waren zumindest noch Maschinen oder Arbeitsgeräte vorhanden. Selbst das fehlt bei den Zeitarbeitgebern.

Es ist nackter, unmittelbarer Kapitalismus. Kapitalismus an sich. Die Arbeiter werden wie Sklaven behandelt, vermietet, sie erhalten nur das für ihre physische Existenz unabdingbar Notwendige anstatt das Leistungsgemäße. Und obendrein werden sie - wie mit diesen Benimmregeln - verhöhnt. Es ist eine Anmaßung, die Menschen so zu behandeln. Der Mensch soll keinen eigenen Willen mehr haben. Wenn das so weitergeht - und es wird so weitergehen, wenn kein Widerstand kommt - dann werden die Menschen auch äußerlich ganz klar gekennzeichnet.
Inzwischen wurden diese Benimm-Regeln für Zeitarbeiter um einen zweiten Teil ergänzt. Noch zynischer, noch menschenverachtender.



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ


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