Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 4 + Nr. 12 + 3. Dezember 2012

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Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Sozialgerichts-Urteil verschwunden
  2. Aus der Urteilsbegründung
  3. An einen Landtagsabgeordneten
  4. Anmerkung zu den zehn Geboten

Sozialgerichts-Urteil verschwunden

Wir berichteten im Vormonat über ein Urteil des Sozialgerichtes Dessau-Roßlau, welches von einem gewissen Dr. Grassmann unterschrieben wurde. Dieses Urteil stellte fest, daß die für den Landkreis Wittenberg - von einer Kölner Firma - zugrunde gelegte "Berechnungsmethode" der Kosten der Unterkunft (KdU) für ALG-II-Empfänger nicht nachvollziehbar ist, sie somit als unzulässig verworfen wurde. Andere Sozialgerichte, z. B. Stendal hielten das hingegen für rechtsgültig. Dr. Grassman darf sich wohl für die nächsten Jahre keine Hoffnung auf eine Gehaltserhöhung oder gar Beförderung machen. Aber er ist ein ehrenwerter Richter. Nicht weil er Hartz-IV-Betroffenen Recht gab, sondern weil er richtete im Wortsinn von Recht: nach Sinn und Buchstabe des Gesetzes. Und: Im Namen des Volkes!

Dieses Urteil wurde auch im Internet veröffentlicht, aber es ist jetzt nicht mehr an der Quelle abrufbar. Welch ein Zufall! Wundert das jemand? Stattdessen ist aber eine Stellungnahme jener Firma abrufbar, welche in dieser Angelegenheit neben Wittenberg über 200 Jobcenter "betreute", darunter auch den Burgenlandkreis. Die geben dort eine gegenteilige Stellungnahme ab und natürlich ist gemäß dieser Stellungnahme ihre eigene Arbeit ohne Fehl und Tadel. Wer jetzt, nach der Löschung des Urteils aus der Quelle, noch glaubt, die deutsche Justiz findet - wenn gerechte Richter urteilen - Rückendeckung bei der Regierung, der Verwaltung und den Medien, dem ist aber nun wirklich nicht mehr zu helfen. Wenn ein solches Urteil aus der ursprünglichen Internetquelle verschwindet, dann hat wohl irgend jemand mächtigen Druck gemacht. Denn das Gericht hat das Urteil gewiß nicht aus eigenem Antrieb dort entfernt. Hier wird hinter den Kulissen Druck gemacht; das ist mehr als bedenklich, das ist schlimm.

Eine Kopie dieses Urteils hat der ORTZ sichergestellt. Wer nun das Urteil - das zwar nur für Wittenberg gilt, aber die gleiche Firma war ja auch für den Burgenlandkreis tätig - für einen eventuellen Rechtsstreit zugrunde legen möchte, kann es nun auf unserer Webseite abrufen: Urteil: Aktenzeichen S 11 AS 2430/11 (Download PDF)

Aus der Urteilsbegründung

Vor der mutigen Entscheidung des Richters kann man nur Hochachtung haben. Besonders auf einen Satz aus der Urteilsbegründung möchten wir hinweisen. Zitat:
"[...] Schließlich ist die reine Erhebung von Bestandsmieten nach Auffassung der Kammer nicht geeignet, den Markt für Neuvermietungen zutreffend abzubilden. Für Satzungen sieht § 22 c Abs. 1 Satz 3 SGB II auch die Berücksichtigung von Neuvertragsmieten vor. Dieser Markt für Neuvermietungen ist hinsichtlich der Frage der Kostensenkungsmöglichkeiten der Maßgebende. Nach den im Auftrag des Beklagten erhobenen Daten war es schon zum Zeitpunkt der Erhebungen nicht möglich, im Bereich des Wohnungsmarkttyps 2, in dem sich die Wohnung der Klägerin befindet, ausreichend viele Wohnungen zu den berechneten Werten anzumieten. [...]"
Das heißt im Klartext: Der soziale Wohnungsbau wurde von der Bundespolitik und demzufolge auch von den Bundesländern praktisch auf Null gefahren. Daraus folgte - auch im Zusammenhang mit dieser katastophalen Lohnentwicklung - eine erhöhte Nachfrage nach kleineren Wohnungen. Auch die Scheidungsquoten sind hier zu bedenken. Immer mehr Menschen in Deutschland leben allein oder maximal mit einem Kind oder zweien, dazu kommen noch Rentnerhaushalte. Gerade kleinere Wohnungen sind bei solchen Interessenten sehr gefragt und steigen somit "natürlich" dementsprechend im Preis. So ist das nun mal im Kapitalismus: ohne einen Funken Mehraufwand oder auch nur einen Funken Arbeit steigt der Preis zugunsten der Profiteure; da können sich diejenigen noch weniger leisten, die es nötig hätten.

Deshalb ist wichtig, bei Wohnungsmieten nicht die bloßen Bestandsmieten, sondern den Markt für Neuvermietungen zu beachten. Hinsichtlich Hartz-IV-Opfern, den Ärmsten der Armen, bedeutet es nichts anderes, als daß anderenfalls diese Opfergruppe noch stärker als ohnehin geschröpft wird, weil die Steigerungen der Miet- und Nebenkosten bei den KdU ausgeklammert werden und die Hartz-IV-Betroffenen die entstehende Differenz dann aus ihrem Regelsatz finanzieren müssen. Das ist es, was der Richter feststellte; er hat damit dieser asozialen Politik eine schallende Ohrfeige erteilt. Eine Beförderung wird er dafür aber sicher nicht bekommen.

An einen Landtagsabgeordneten

Der Landtagsabgeordnete Arndt Czapeck (CDU) äußerte gegenüber einem Zeitzer Montagsdemonstranten, noch nie habe sich irgendjemand mit dem Thema Hartz IV bzw. ALG II an ihn gewandt. Von den Montagsdemonstrationen wisse er nichts. Nun kann man ja nicht alles wissen und sich nicht um alles kümmern; da es aber um Menschen geht - die ihn vielleicht sogar gewählt haben - hielt es der ORTZ für erforderlich, ihm am 22.10.2012 folgenden Brief zu schreiben:
Sehr geehrter Herr Landtagsabgeordneter Arnd Czapek,

der Offene Runde Tisch Zeitz (ORTZ) ist ein freiwilliger Zusammenschluß von Bürgerinnen und Bürgern, welche die Wirkung der Hartz-Gesetze für unsozial, menschenfeindlich und auch in der Sache für verfehlt halten. Bekanntlich sollten diese Gesetze die Arbeitslosigkeit bekämpfen helfen. Dies gelang nicht - wie von vielen Kritikern und auch von uns vorhergesagt. Stattdessen nahm die Anzahl tariflich bezahlter Arbeitsplätze ab und die prekären Arbeitsverhältnisse wuchsen rapide an.

Vielleicht kennen Sie diese Fakten und die entsprechenden Zahlen auch. Als eine der Hauptursachen dieser unbefriedigenden Entwicklung sehen wir das Fehlen eines gesetzlichen Mindestlohnes sowie absolut unzulängliche Hartz-IV-Regelsätze an. Beides in Wechselwirkung miteinander setzte eine bis heute anhaltende Lohnabwärtsspirale für große Teile unselbständig Beschäftigter - sogar in akademischen Berufen - mit weittragenden Folgen in Gang: Sozialabbau in allen Bereichen, z. B. im Renten- und im Krankenversicherungssektor, jedoch nicht nur dort.

Wir Mitglieder des ORTZ sehen wie viele andere Menschen uns durch diese Entwicklung in unserer ablehnenden Haltung gegenüber diesen Auswirkungen bestätigt, denn all dies hatten wir vorausgesagt - und es trat ja auch erwartungsgemäß ein. Wir organisieren und betreiben also in Zeitz seitdem Protestveranstaltungen, entsprechende Unterschriftensammlungen ü. ä.

Auch haben wir uns dem bundesweiten Bündnis "Aktion Sozialproteste" (ABSP http://www.die-soziale-bewegung.de/) angeschlossen, unterstützen dessen Anliegen und werben um weitere Unterstützer. Wir treten ein für: Erhöhung des Hartz-IV-Eckregelsatzes von derzeit 374 auf mindestens 500 € monatlich, Schaffung eines lohnsteuerfreien und sozialversicherungspflichtigen gesetzlichen Mindestlohnes von derzeit 10 €/Stunde (500/10), gegebenenfalls beides mit verbindlichen Inflationsanpassungsklauseln gesichert. Beides zusammen - 500/10 - könnte diesen unerwünschten Wirkungen der Hartz-IV-Gesetze viel von ihrer Schadwirkung nehmen, ohne daß diese Gesetze förmlich aufgehoben werden müßten. Es wäre dies ein erster und notwendiger Schritt zu unserem gemeinsamen Ziel eines sozial gerecht ausgestalteten Staatswesens.

Über weiterführende Erläuterungen zu Sinnhaftigkeit und Zielführung dieser Forderung 500/10 kann sich jeder Interessierte unter http://www.mindestlohn-10-euro.de/ und http://www.500-euro-eckregelsatz.de/informieren.

Nach unseren Informationen äußerten Sie, noch niemals habe sich irgendjemand im Zusammenhang mit dem Thema ALG II an Sie gewandt.

Dies halten wir für ein schweres Versäumnis und nehmen diese Tatsache zum Anlaß, Sie um Unterstützung für unser vg. Anliegen zu bitten und Ihnen Gelegenheit zu offener Solidarisierung zu bieten.

Diese Forderungen des ABSP und anderer sind nicht unbescheiden und fußen auf einem wohlbegründeten sozialen Gerechtigkeitsanspruch wie insbesondere auch auf elementaren Lebensansprüchen. Dieser Lösungsansatz 500/10 wird in der Gesellschaft sicher an Unterstützung gewinnen, wenn angesehene Bürgerinnen und Bürger, darunter Landtags- und Bundestagsabgeordnete, sich öffentlich zu ihm bekennen, ihn aktiv fördern und nachdrücklich bekräftigen.

Wir bitten Sie also um Ihre Unterstützung in dieser Frage.

Wir laden Sie zudem ganz herzlich ein, sich - ggfs. auch mit einer differenzierten Meinung - hierzu auf einer oder einigen unserer Zeitzer Montagsdemos zu äußern. Diese Veranstaltungen beginnen jetzt im Winterhalbjahr immer montags um 17:00 Uhr auf dem Zeitzer Schützenplatz, ausgenommen an Feiertagen.

In der Hoffnung, bald von Ihnen Nachricht zu erhalten, grüßt der ORTZ.
Eine Antwort erhielten wir bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Sollte den ORTZ später noch eine Antwort erreichen, werden wir diese selbstverständlich ebenfalls veröffentlichen.

Anmerkung zu den zehn Geboten

Wer politisch handelt, muß gestalten,
weil die Welt sich unablässig dreht.
Das gilt auch für alles, was im Alten
Testament seit je geschrieben steht.

Alles schön und gut, was Gott dem Mose
in den zehn Geboten strikt befahl.
Mit dem lausigen Moralgetose
allerdings gewinnt man keine Wahl.

Oft muß man den graden Weg verlassen,
wenn man damit Gegenspieler schwächt.
Wenn die zehn Gebote da nicht passen,
macht man sie sich eben paßgerecht.

Schließlich gab der Herr, zu dem wir beten,
weil man voller Andacht an ihn glaubt,
uns die Füße, um damit zu treten,
folglich sind uns Fußtritte erlaubt.

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider
deinen Nächsten. Das ist Christenpflicht.
Selbstverständlich sind Parteimitglieder
anderer Parteien unsere Nächsten nicht.

Nicht mißbrauchen sollst du Gottes Namen.
Das schließt aber nicht den Amtseid ein.
Nicht begehren sollst du fremde Damen.
Doch wenn eine mitmacht, ist sie dein.

Gott befahl den Menschen, nicht zu töten.
Das Gebot bedeutet explizit,
keiner muß aus Schuldgefühl erröten,
der´s aus Friedensliebe übertritt.

Das kann, wer die Mehrheit hat, beschließen.
Wer die Mehrheit hat, der hat die Macht,
und wer die hat, kann aus Friedensliebe schießen.
Macht und Mehrheit adeln jede Niedertracht.

Schon Napoleon sprach im Feldherrntone
und als staatsmännisches Schwergewicht:
Gott setzt immer auf die stärksten Bataillone.
Und das haben wir verinnerlicht.

Günter Krone (Quelle: Ossietzky)



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ


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