Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz
Ausgabe
2 / 2013
vom 02.04.2013

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Und die Bundesagentur für Arbeit schaut zu!

"Brandbrief" einer Jobcenter-Mitarbeiterin (Inge Hannemann, http://altonabloggt.wordpress.com/)

Sehr geehrte Bundesagentur für Arbeit,

wie viele Tote, Geschädigte und geschändete Hartz-IV-Bezieher wollen Sie noch auf Ihr Konto laden? Wie viele Dauerkranke, frustrierte und von subtiler Gehirnwäsche geprägte Mitarbeiter wollen Sie in Ihrem Konstrukt "Jobcentermaschine" durchschleusen?

Fragen, die mich als Jobcenter-Mitarbeiterin bewegen. Fragen, auf die ich keine Antwort erhalte. Und Fragen, die öffentlich diskutiert werden sollten. Das Internet quillt über von Meldungen über verhungerte, selbstmörderische und schwerst gekränkte "Hartzer". Nicht geringer sind anonyme Aussagen und Berichte über Jobcenter-Mitarbeiter, welche dem Druck, die gewollte Unmenschlichkeit gegenüber den Leistungsberechtigten auszuüben - und der Erfüllung von Quotenkolonnen - nicht mehr gewachsen sind. Anonym, aus Angst vor Repressalien und Kündigung durch die Zentralen der Jobcenter oder "Ihrer" Behörde. Sind doch gerade einzelne Projekte mehrheitlich mit befristeten Arbeitsgehilfen besetzt. Ein Umstand, der jedem Befristeten eine eigene Unsicherheit beschert. Und diese trägt er oder sie eben nach außen. Wie soll ein selbst Befristeter innere Sicherheit vermitteln? Und wie soll ein Befristeter mit der ständigen Unsicherheit umgehen, der nächste Tag könne der letzte sein? So agieren die meisten stets linientreu, kopf- und statistikgesteuert - immer mit der Hoffnung, noch am letzten Tag ihrer Befristung eine begnadete Verlängerung zu erhalten.

Dies könnte natürlich auch Kalkül sein! Frischfleisch, - ohne die Chance zu erhalten, das System zu durchschauen - und die Angst vor der eigenen Arbeitslosigkeit, läßt Menschen agieren ohne Sinn und Verstand. Ein bundesweites Marionettenspiel für mehr als sechs Millionen Erwerbslose. Nur komisch, daß kaum einer - außer den "Reglern" selbst - klatscht. Auch Zugaben werden nicht gefordert.

Sie starten Kampagnen wie "Ich-bin-gut", Gelder aus Berlin für Weiterbildungen oder sonstige Maßnahmen werden verteilt, Erwerbslose erhalten in Berlin einen persönlichen Coach, "Lauffaule" Hartzer in Brandenburg bekommen einen Schrittzähler, Bendorf verlost Langzeitarbeitslose auf dem Weihnachtsmarkt und Nienburg droht mit Leistungskürzungen bei Verweigerung von Nichtraucherkursen.

Absurditäten, die keine Beschreibung benötigen. So werden Gelder verschwendet für Kuriositäten, die unmenschlicher und entwürdigender nicht sein können. Ebenso bekannt und nicht ausgesprochen, werden Fördergelder, wie der Eingliederungszuschuß (EGZ), für Arbeitgeber zur Verfügung gestellt, die eine kurzfristige Beschäftigung gewährleisten. Aber ebenso, nach dem Auslaufen dieser Bezuschussung, wird oftmals erneute Arbeitslosigkeit finanziert. Allerdings spottet genau dieser Eingliederungszuschuß jeglicher Vernunft, wenn Niedriglohnausbeuter wie Zeitarbeitsfirmen diesen erhalten. Es ist eine, durch die Autorisierung unserer Regierung, geldliche Unterstützung für laufende Armut und Beibehaltung von Sklavenarbeit. Gewollte, geknechtete, erniedrigte und kontinuierliche Bittsteller in den Jobcentern. Subventioniert durch "Ihre" Behörde - und die Bundesregierung.

Selbstverständlich gibt es immer wieder erfolgreiche Vermittlungen in unbefristete Jobs, von denen ein Mensch auch leben kann. Dies möchte ich nicht unerwähnt lassen. Auffällig ist nur, daß die Dauer der Langzeitarbeitslosigkeit nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) stetig steigt. Demnach waren über die Hälfte der Betroffenen über 50 Jahre im Jahr 2011 länger als 12 Monate im Bezug von Arbeitslosengeld II. Ein kaum geringerer Anteil betrifft die Erwerbslosen unter 50 Jahren. Die Anzahl derer, die nach kurzfristiger Beschäftigung, weil ja zumeist nur noch befristet beschäftigt wird, erneut sich arbeitssuchend melden, stieg im Jahr 2011 ebenso stetig an. So sind über 2/3 der Bezieher von Arbeitslosengeld, Bezieher der Transferleistungen nach Hartz IV. Eine Zahl, die sich seit der Einführung von Hartz IV (2005) nicht zum Positiven gewandelt hat. Waren es zu Beginn rund 60 Prozent, sind es nun über 70 Prozent. Von einer Reduzierung der Arbeitslosigkeit im Bereich des SGB II kann nach meiner Berechnung nicht gesprochen werden.

Gesucht werden die Gründe für gewollte Willkür, für menschenverachtende Aussagen durch die Jobcenter-Mitarbeiter, für ein System, welches es zuläßt, daß Erwerbslose genau dadurch immer kränker werden. Daß die Schuld jedoch beim Erwerbslosen gesucht wird, ohne an die eigene Kappe zu fassen, zeigt eine gewisse Mentalität der Ignoranz. Menschenunwürdiges und gedankenloses Handeln, wie es tagtäglich in den Jobcentern geschieht, macht krank. Bedrohungen, Angst vor Sanktionen und die Behandlung als Mensch zweiter, dritter, vierter Klasse durch die Jobcenter führen nicht in Arbeit, sondern in die totale Verweigerung, in ständige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, in die Resignation, in die Wut bis zum Suizid.

Mir ist bewußt, daß ich mich mit diesen Fragen und dem Artikel weiteren Repressalien durch Ihre Behörde aussetze, vielleicht sogar meinen Arbeitsplatz riskiere. Mir ist aber auch bewußt, daß Menschlichkeit nur entstehen kann, wenn aufgerüttelt wird, wenn sich kritische Stimmen, auch aus den eigenen Reihen, erheben.

Und ebenso, als freie, anerkannte Journalistin, nehme ich mir das Recht der vierten Staatsgewalt heraus und mache auf Mißstände aufmerksam. So will ich nichts anderes, als Veränderung in Ihren Köpfen für mehr Menschsein und Beachtung der Menschenwürde nach dem Grundgesetz. Nicht Verwalten ist das Ziel, sondern humanitäres Handeln.

Oder sind wir schon so weit, daß jedes Erklimmen einer beruflich höheren Stufe menschliches Denken und Handeln außer Kraft setzt?



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ


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