Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 5 + Nr. 09 + 2. September 2013

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Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Studie: Hartz IV ist gescheitert
  2. Bei unzulässigen Ein-Euro-Jobs nachträglich Geld zurückfordern
  3. Zum Weltfriedenstag - 1. September 2013: Antiavanti
  4. Neusprech / Sprachlügen / Unwörter: alternativlos

Studie: Hartz IV ist gescheitert

Fordern und Fördern ist gescheitert:
Wissenschaftler fordern die Abschaffung der Sanktionen.


Wissenschaftler der Universität Jena zeigen mit aktuellen Forschungsergebnissen, daß die Hartz-IV-Arbeitsmarktpolitik fatale Folgen für die Betroffenen hat. Das "Fordern und Fördern" führe nicht zu einer Aktivierung, sondern zu einer regelrechten Passivität. Zudem werden Hartz-IV-Bezieher gesellschaftlich stigmatisiert.

Erwerbslose sollen "aktiviert" werden mit der Androhung, durch Sanktionen die gesamte Lebensgrundlage zu entziehen. Dahinter steckt der stigmatisierende Ansatz, Hartz-IV-Bezieher bräuchten "mehr Druck", da sie sich andernfalls im Sozialsystem "einrichten" würden. Eine wissenschaftliche Studie der Jenaer Forscher zeigt jedoch, daß das Strafsystem genau das Gegenteil bewirkt. Die Menschen ziehen sich zurück und sind oft eingeschüchtert. "Die Hartz-IV-Logik erzeugt Passivität, wo sie Aktivierung vorgibt", resümiert der Arbeitssoziologe Klaus Dörre im Interview. Zudem sei das Stigma "Hartz IV" vergleichbar mit einer dunklen Hautfarbe im Süden der USA. Für die Forschungsarbeit wurden Bezieher des Arbeitslosengeld II während fast sieben Jahren regelmäßig befragt.


Hartz IV aktiviert nicht

"Der entscheidende Punkt ist, daß die aktivierende Arbeitsmarktpolitik nichts aktiviert", schreiben die Forscher in ihrer Arbeit. Bei Schaffung von Hartz IV war der Anspruch, die sogenannte Erwerbsorientierung bei den Leistungsbeziehern zu verändern. Daher sollte der Bezug möglichst ungemütlich gestaltet werden. "Dabei wird ausgeblendet, daß die Erwerbsorientierung im Laufe des Lebens angeeignet wird, relativ stabil ist und nicht einfach umgeformt werden kann."

Grundlage der Hartz-Reformen ist das Bildnis eines grundlegend faulen und passiven Hartz-IV-Beziehers, der es sich im sogenannten Wohlfahrtsstaat "bequem gemacht" hat. "Das können wir nicht feststellen. Das Gros der Erwerbslosen und prekär Beschäftigten im Leistungsbezug ist von sich aus aktiv. Die Aktivierungsbemühungen gehen an ihnen vorbei und nutzen ihnen wenig bis gar nichts. Es gibt lediglich eine kleine Gruppe mit einem Anteil von acht bis zehn Prozent der Leistungsbezieher, die nicht mehr kann und nicht mehr will. Bei ihnen kann man auch mit Sanktionen nicht viel bewirken." Aus diesem Grund sei dieser Sanktionsapparat vollkommen unsinnig. Zudem: Eine demokratische Gesellschaft muß nun mal auch Menschen aushalten, die keinen Selbstanspruch zum Arbeiten stellen, aus welchen Gründen auch immer.


Keine Verbesserung durch die Arbeitsmarktreformen

Gab es denn überhaupt seitdem Verbesserungen? "Was wir finden, ist, daß es für kaum einen Befragten Verbesserungen gegeben hat." Während der Befragungszeit haben nur sehr wenige den Sprung aus Hartz IV geschafft, berichtet der Professor. "In den sieben Jahren haben wir bei manchen zehn, zwölf Stationen - Ein-Euro-Job, Praktikum und Ähnliches - am Ende ist man aber immer wieder im Leistungsbezug. Man strampelt enorm, wendet enorme Energie auf, kommt aber nicht von der Stelle. Es gibt eine größer werdende Gruppe von Menschen, die an oder unterhalb der Schwelle der Respektabilität lebt - das ist Hartz IV - und sie kommen da nicht mehr heraus."

Hartz IV wirkt bei den Betroffenen wie ein Stigma. Bei der Zusammenlegung der Sozialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe wurde den Sozialhilfe-Beziehern gesagt, dies sei eine grundlegende Verbesserung. Doch nach Meinung der Wissenschaftler sei genau das Gegenteil der Fall. "Der springende Punkt ist, daß etwa Frauen im Osten, die lange berufstätig waren und dann herausfallen, sich jetzt wahrnehmen als Leute, die gewissermaßen unter die Schwelle der Respektabilität gedrückt werden, auf eine Stufe gestellt werden mit Sozialhilfebeziehern. Das ist eine enorme Kränkung. In der Gesellschaft als "Hartzi" identifiziert zu werden, ist ähnlich wie dunkle Hautfarbe zu haben im Süden der USA. Das ist ein Stigma, das an einem haftet, das man nicht los wird und mit dem man in Alltagssituationen immer wieder konfrontiert wird."


Abschaffung der Sanktionen gefordert

Je länger Betroffene auf Hartz IV angewiesen sind, desto stärker sind die Menschen gezwungen, sich mit der Armut und der gesellschaftlichen Ächtung zu arrangieren. Viele meiden Unterhaltungen mit Menschen, die eine Arbeit haben oder sie meiden auch soziale Aktionen, weil sie dem anderen nichts ausgeben können. "Man trifft sich immer häufiger mit seinesgleichen und entwickelt einen Überlebenshabitus, der der Gesellschaft die Stigmatisierung erleichtert. Das führt dazu, daß man sich immer weiter isoliert und es immer schwerer wird, zur Mehrheitsgesellschaft zu gehören. Das ist eine Spirale nach unten."

Das Forscherteam bilanziert aus den Ergebnissen klare Forderungen: "Der erste Schritt müßte sein, die Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger aufzuheben. Ein solcher Gängelungsapparat, der bis in private Lebensbereiche hineinwirkt, ist unsinnig und rechtfertigt die Kosten nicht. Der zweite Punkt ist: Es muß sinnvolle Beschäftigung geschaffen werden. Es gibt im Dienstleistungssektor großen Nachholbedarf bei pflegenden, erziehenden und bildenden Tätigkeiten. Und wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn".

Quelle: http://www.gegen-hartz.de/

Bei unzulässigen Ein-Euro-Jobs nachträglich Geld zurückfordern

Das Bundessozialgericht hat entschieden, daß auch nachträglich die Differenz zum Tariflohn bei rechtswidrigen Ein-Euro-Jobs gefordert werden kann.

Handelt es sich bei der "Arbeitsgelegenheit mit Aufwandsentschädigung" um einen durch das Jobcenter vermittelten und rechtswidrigen Ein-Euro-Job, so können Hartz-IV-Empfänger auch nachträglich mehr Geld fordern. So entschied das Bundessozialgericht in einer Entscheidung unter dem Az. B 14 AS 75/12 R. Betroffene sollten sich aber nicht zu viel Zeit mit der Rückforderung lassen, da sonst Teilansprüche verloren gehen können.

Geklagt hatte eine im Leistungsbezug stehende Kauffrau, die vom Jobcenter für einen dreimonatigen Zeitraum von November 2008 bis Januar 2009 einen Ein-Euro-Job bei Radio Weser.TV vermittelt bekommen hatte, für einen Stundenlohn von 1,20 Euro. Sieben Stunden täglich arbeitete die Frau in der Organisation und Disposition des Senders.

Nach dem Gesetzeswortlaut dürfen Ein-Euro-Jobs nur zusätzliche Beschäftigungsmaßnahmen sein, also keine regulären Arbeitsplätze ersetzen oder verdrängen. Als der Hartz-IV-Empfängerin bewußt wurde, daß ihre Tätigkeit gegen diese Regelung (§ 16 Abs. 3 S. 2 SGB II a.F.) verstieß, legte sie nachträglich offiziell Widerspruch gegen die Maßnahme ein und forderte Wertersatz ein in Form der Differenz zum Tariflohn in Höhe von 3.717 Euro - sieben Monate nach Ende der Beschäftigung.

Vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) scheitert die Frau zunächst, da das Gericht der Ansicht war, die Frau hätte ihren Widerspruch zu spät eingelegt und könne nachträglich keinen Lohn mehr geltend machen.

Das Bundessozialgericht (BSG) ist anderer Meinung. Die Kassler Richter stellten fest, daß es für einen solchen Widerspruch keine gesetzlich festgelegte Frist gibt. Aus diesem Grund gab das BSG den Fall wieder zurück an die Vorinstanz. Das LSG muß nun prüfen, ob es sich bei der Beschäftigung der Hartz-IV-Bezieherin tatsächlich um eine zusätzliche Tätigkeit gehandelt habe. Der 14. Senats des höchsten deutschen Sozialgerichts machte allerdings auch klar, daß Leistungsbezieher hier kurzfristig Widerspruch einlegen müßten, da sie sonst teilweise Ansprüche auf die Differenz zum Tariflohn verlieren können.

Den Wertersatz muß zunächst das Jobcenter als Leistungsbehörde übernehmen und kann dann gegebenenfalls Regreßansprüche an den Maßnahmenträger des Ein-Euro-Jobs geltend machen, um sich schadlos zu halten.

Vorinstanz: LSG Celle-Bremen Az. L 15 AS 88/10

Quelle: http://www.hartz-iv.info/

Zum Weltfriedenstag
1. September 2013

Antiavanti

Die Brüsseler Kommission hat sich das Ziel gesteckt,
daß jeder Mensch vom Rauchen Abstand nimmt,
und dazu Werbung, die ihn auf den Tod erschreckt,
für jedes Tabakfabrikat bestimmt.

Da werden Zigarettenschachteln so bebildert,
daß man vom Nikotin zerfreßne Lungen sieht.
Mit bunten Krebsgeschwüren wird geschildert,
was jedem, der am Rauchen festhält, blüht.

So rettet man die Raucher vorm Desaster.
Man sollte die Methode hinterfragen
und auf ein andres zeitgemäßes Laster,
das Kriegeführen, übertragen.

So könnte man die Lust am Krieg mit all den Schrecken,
von Blut und Tränen, Mord und Sterben,
durch Ausstellung von ein paar Leichensäcken
vor dem Kasernentor vielleicht verderben.

Man könnte Särge im Kasernenhof drapieren,
wozu beschwingte Marschmusik erklingt,
so daß Soldaten, die vorbeimarschieren,
klar wird, was ihr Gewerbe mit sich bringt.

Man könnte Fotos mit zerfetzten Stücken
von Leichen an die Wände kleben
und die Kantine mit Prothesen schmücken,
um darzutun, wie Amputierte leben.

Das wird nicht einfach sein. Geostrategen
benötigen den Schrecken und das Leid
von Kriegseinsätzen nämlich wegen
Demokratie und Öl und Menschlichkeit.

Günter Krone


Neusprech / Sprachlügen / Unwörter:
alternativlos

Glaubt man der Bundeskanzlerin, dann ist derzeit eine Menge alternativlos: das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, das Sparprogramm des griechischen Staates, der Einsatz/Krieg in Afghanistan, die NATO. Das Wort ist schwer in Mode. Schaut her, soll es ausdrücken, wir müssen das tun, wir können nicht anders, also hört auf zu jammern. Das kommt daher als eine, wie es hier so treffend heißt, "Politik des übergesetzlichen Notstandes" oder auch als "Eingeständnis der Hilflosigkeit". Aber stimmt das? Eher nicht, wie die dabei gern verwendete alternativlose Entscheidung zeigt: Die nämlich ist ein Oxymoron, eine Verknüpfung von Dingen, die sich widersprechen. Wäre die Situation ohne Alternative, also ohne Wahlmöglichkeit, gäbe es nichts zu entscheiden. Gibt es aber eine Alternative und sei es nur die, das Gesetz/die Maßnahme/den Krieg eben zu unterlassen, steht auch eine bewußt getroffene Entscheidung dahinter. Wäre Politik also tatsächlich alternativlos, bräuchte es keine Politiker. Was zeigt, daß der Begriff auf keinen Fall hilflos ist. Er ist vielmehr eine glatte Lüge.

Nachtrag: Im Januar 2011 wurde alternativlos zum Unwort des Jahres 2010 gewählt.

Noch ein Nachtrag: Im März 2011 verwendete die Bundeskanzlerin statt alternativlos das Synonym unumgänglich, natürlich mit Bezug auf eine Reform - offenbar wirkt die Beschäftigung mit Neusprech!

Quelle: http://neusprech.org/



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