Montagsdemo Zeitz - Offener Runder Tisch Zeitz

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)

Jahrgang 5 + Nr. 10 + 1. Oktober 2013

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Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz"

Inhalt:

  1. Fachkräftemangel? - Die Wahrheit!
  2. Jobcenter zieht wegen 15 Cent vor das Bundessozialgericht - und verliert
  3. Streitschlichter in Hartz IV-Behörden
  4. Trotz Arbeit zu wenig Geld zum Leben
  5. Muttis Hände

Fachkräftemangel? - Die Wahrheit!

Vertreter des Offenen Runden Tisches Zeitz waren in Gera, dort war Frau Inge Hannemann - bekannt als Deutschlands kritischste Jobcenter-Mitarbeiterin - zu drei Veranstaltungen eingeladen. Zunächst einmal unseren tiefen Respekt vor dieser Frau, denn es ist völlig klar: wer beim Jobcenter arbeitet und sich dann weigert, seinen Ermessensspielraum grundsätzlich gegen die Betroffenen zu nutzen, ihn stattdessen nötigenfalls auch zugunsten Betroffener einsetzt und auch noch die Praktiken der Jobcenter im Internet veröffentlicht, muß mit dem Verlust dieses Arbeitsplatzes rechnen. In Wahrheit bedeutet Ermessensspielraum zwar, in einem gewissen vorgegebenen Rahmen Entscheidungsbefugnisse zu haben. In der Jobcenter-Praxis allerdings gilt, diese Räume ausschließlich gegen die Betroffenen zu nutzen. Frau Hannemann hat sich im Jobcenter-Management jedenfalls keine Freunde gemacht. Sie bekommt zwar zunächst ihr Geld weiter, aber sie wurde beurlaubt. Sie wurde mehrfach aufgefordert, ihren Internet-Blog einzustellen.

Für uns ist aber folgendes ganz interessant:

Wir erleben ja, daß immer wieder behauptet wird, in Deutschland herrsche ein starker Fachkräftemangel. Deshalb müsse man Fachkräfte aus dem Ausland anfordern. Wir haben uns das bisher immer damit erklärt, daß die ausländischen Fachkräfte hier im Inland die Löhne drücken sollen. Das ist aber nicht der einzige Grund. Von den dort anwesenden Besuchern wandten sich zwei Personen unabhängig voneinander mit ähnlichen Fragen an Frau Hannemann. Einer erläuterte z. B., er habe drei Berufsabschlüsse und bekäme keine Arbeit; wie das zu erklären sei bei dem angeblichen Fachkräftemangel in der BRD. Darauf antwortete Frau Hannemann - und jetzt wird auch ein Schuh daraus - wer länger als vier Jahre arbeitslos ist, dessen berufliche Qualifikationen verlieren ihre Bedeutung. Betroffene sind verpflichtet, eine jede Arbeit anzunehmen, um den Leistungsanspruch nicht zu verlieren. Das gilt auch für akademische Berufe.

Damit fallen diese betroffenen Menschen für die Jobcenter nach vier Jahren statistisch und real als Fachkräfte weg. Und wenn nun Fallmanager eine geeignete Arbeitskraft für eine definierte Qualifikation suchen, so finden sie die gar nicht mehr dort im Computer im Berufs-Profil der Jobcenter-Registrierten und müssen stattdessen im Lebenslauf der Betroffenen suchen. Wenn man aber hunderte Menschen betreuen muß und soll dann deren aller Lebensläufe nach jeweils geforderten Qualifikationen durchsuchen, ist das nicht zu schaffen, dafür ist wohl auch gar keine Zeit.

Normalerweise sind bei Computerangaben alle notwendigen Daten gesammelt und übersichtlich dargestellt. Aber hier haben sie es genau umgekehrt gemacht: nach vier Jahren erlischt die Darstellung des Berufes. Da werden die Betroffenen als berufslos und unqualifiziert geführt und bewertet. Der Fallmanager muß dann, wenn er will, wenn er kann oder wenn er Zeit hat, alle Lebensläufe durcharbeiten. So läuft das. Und da stellt sich die Bundesregierung hin und sagt, wir haben keine Facharbeiter! So sind die Zusammenhänge!

Jobcenter zieht wegen 15 Cent vor das Bundessozialgericht - und verliert

Es ist kaum zu glauben: Wegen einer Rundungsdifferenz in Höhe von 15 Cent zog das Jobcenter Unstrut-Hainich-Kreis aus Mühlhausen in Thüringen bis vor das Bundessozialgericht (BSG). Nach langem Rechtsstreit ist die Behörde jedoch nun endgültig gescheitert. Wie das Landessozialgericht (LSG) in Thüringen berichtet, seien auch weitere Rechtsmittel im Streit um das Aufrunden von Cent-Beträgen hinter dem Komma als unzulässig erklärt worden. Hintergrund des Verfahrens war die Klage einer Bedarfsgemeinschaft wegen der Rundungsdifferenz.

Jobcenter scheitert vom Bundessozialgericht

Bereits im Dezember 2012 entschied das Thüringer LSG, daß das Jobcenter Hartz-IV-Leistungen mit mehr als 50 Cent hinter dem Komma aufrunden muß. Zusätzlich wurde das Jobcenter dazu verurteilt, eine Mißbrauchsgebühr in Höhe von 600 Euro zu zahlen. Im Hinblick auf die geringe wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens und der eindeutigen Rechtslage sei eine Kostenbeteiligung angemessen, auch wenn Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit normalerweise kostenfrei seien, hieß es in der Begründung. Konkret mussten die Richter über eine Rundungsdifferenz von 15 Cent entscheiden.

Hintergrund des Verfahrens war die Klage einer Bedarfsgemeinschaft. Damals argumentierte das Jobcenter, daß die Klage wegen Unzulässigkeit abgelehnt werden müsse, da die Rundungsdifferenz der einzige Klagepunkt gewesen sei. Dem LSG zufolge wurden jedoch mehrere Klagepunkte geltend gemacht, die letztlich aber erfolglos waren. Das Gericht schloß eine Revision aus.

Doch auch im Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision vor dem BSG scheiterte das Jobcenter (Aktenzeichen B 4 AS 64/13 B). Die Rundungsregel hat inzwischen ihre Gültigkeit verloren.

Quelle: http://www.gegen-hartz.de/

Streitschlichter in Hartz IV-Behörden

Immer mehr Jobcenter gehen, auch auf Druck der Politik, dazu über, sogenannte Streitschlichter zu beschäftigen. So berichtet die Presse seit einiger Zeit von sogenannten Streitschlichtern, Bescheiderklärern oder Ombudsmännern. Denn die Zahl der Klagen an den Sozialgerichten ist unverändert hoch. Allein in Berlin werden jeden Monat rund 2000 neue Klagen eingereicht. Fast 50 Prozent der Kläger bekommen Recht zugesprochen. Immer mehr Menschen lassen sich die Schikanen in den Jobcentern nicht mehr gefallen. Viele informieren sich unabhängig und scheuen auch den Rechtsweg nicht. Um dem zu begegnen, beschäftigen immer mehr Leistungsträger sogenannte Streitschlichter. Diese sollen zwischen den Leistungsberechtigten und der Behörden agieren. Im besten Falle sollen sie vermitteln.

Ab ersten August wird ein Rentner, der jahrzehntelang als Sachbearbeiter in den Sozialhilfe- und Arbeitsagenturen gearbeitet hat und zuletzt auch Teamleiter war, als Streitschlichter beschäftigt werden. Gegenüber der Berliner Zeitung sagte dieser, er wolle "Kommunikationsschwierigkeiten und Mißverständnissen vorbeugen". Wenn das Projekt erfolgreich ist, soll es auf ganz Berlin ausgeweitet werden.

Doch sind Streitschlichter wirklich unparteiisch, die selbst Jahrzehntelang als Sachbearbeiter in den Amtsstuben gearbeitet haben,? Sollen die Schlichter wirklich im Sinne der Leistungsberechtigten agieren oder sollen sie die Klageflut eindämmen, indem sie beruhigend auf die Menschen einwirken? Die Zeit wird zeigen, was die neuen Schlichter bringen. Aus Erfahrung sind wir allerdings eher skeptisch und weisen auch in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Widersprüche und Klagen in vielen Fällen vonnöten sind, um einen Rechtsanspruch durchzusetzen.

Quelle: http://www.gegen-hartz.de/

Anmerkung: Wir bezweifeln, ob diese Schlichter für die Betroffenen ein großer Nutzen sind. Vielmehr sollen sie wohl die Leute einlullen, damit sie klein beigeben, wo Gegenwehr angebracht wäre.

Trotz Arbeit zu wenig Geld zum Leben

Zu folgendem Artikel aus der Mitteldeutschen Zeitung vom 21. September 2013 möchte der Offene Runde Tisch Zeitz Stellung beziehen:

Positive Bilanz des Jobcenters ist getrübt.

Die Zahl der beim Jobcenter gemeldeten Arbeitslosen geht zurück, doch nicht im gleichen Maße die Zahl derer, die Leistungen vom Jobcenter erhalten. Das trübt den Bericht von Jobcenter-Betriebsleiter Berndt Lampe, den er am Dienstag dem Betriebsausschuß vorlegte. Denn es besagt, daß viele, die mittlerweile einer Arbeit nachgehen können, dabei nicht das Geld verdienen, um sich und ihre Familien (in der Statistik als Bedarfsgemeinschaften erfaßt) ohne staatliche Hilfe zu ernähren. Etwa die Hälfte der 1 088 Personen, denen zu einer Arbeit verholfen wurde, ist nicht voll beschäftigt und verdient nur bis zu 460 Euro monatlich. Das betrifft vor allem Frauen im Handel und in der Gastronomie.

Weniger Bedarfsgemeinschaften

Noch im August betreute das Jobcenter 23 793 Personen in 13 966 Bedarfsgemeinschaften. Das sind 3,7 Prozent weniger Bedarfsgemeinschaften als ein Jahr zuvor. Die Zahl der Männer und Frauen, die Leistungen erhalten, ging um 4,8 Prozent zurück, die der vom Jobcenter betreuten Arbeitslosen um 11,3 Prozent.

Von den aktuell vom Jobcenter betreuten Menschen sind fast 3 000 Männer und Frauen 50 Jahre alt und älter. Doch, so stellte Lampe fest, verringert sich auch ihre Zahl, weil "in Zeiten von Fachkräftemangel immer mehr Arbeitgeber bereit sind, wieder ältere Arbeitnehmer einzustellen". Lebenserfahrung, Kompetenz, Zuverlässigkeit und Disziplin, die ein Großteil von ihnen einbringe, zählten.

Arbeitslose über 50

9,2 Prozent geringer als vor einem Jahr war die Zahl der Arbeitslosen über 50. Laut Lampe qualifizierten die Arbeitgeber auch zunehmend selbst und forderten vom Jobcenter weniger Zuschüsse für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt ab. Nur für 230 Personen seien die in Anspruch genommen worden.

Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 21.09.2013

Anmerkung des ORTZ: Es ist erstaunlich, daß Herr Lampe so überrascht gewesen sein soll. Diese Entwicklung haben wir sogar mehrfach vorhergesagt. Wenn Leute nur noch solche Billigjobs bekommen, werden sie logischerweise auch weiterhin aufstockende Leistungen der Jobcenter beziehen müssen. Nicht grundlos fordern wir ja einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 €/Stunde (lohnsteuerfrei aber sozialabgabenpflichtig). Und diese Bilanz des Jobcenters beweist auch, wie berechtigt unsere Forderung ist.

Muttis Hände

Hast uns anjeschmiert
un übern Löffel balbiert
un imma dein eijenet Süppchen jekocht.
Hast dir die Kerle untajejocht.
Die röchelten alle am Ende.
Erst haste geheuchelt,
denn haste jemeuchelt.
Alles mit deine Hände.

Reichst jern mal wat rüba
für die janz jroßen Schieba.
Die hörn ja nich uff, dich zu lohm.
Die woll'n dich für imma da ohm.
So kriejense dauand wat zujeschohm.
Milliarden ohne Ende.
Alles mit deine Hände.

Dein Motto war imma: Nur keen Tumult!
So haste det Volk innen Schlaf jelullt.
Da heeßtet nur noch: Na denn, jute Nacht!
Der Bürja, der pennt, aba Mutti, die wacht.
So merktet keena wie du hintarücks
dem Pennbruda die Kehle zudrückst.
Eens kannste dem Bürja verbürjen:
Du wirst ihn würjen und würjen
bis zum bittasten Ende.
Alles mit deine Hände.

Aus Buchholzens Wochenschauer
Nr. 587 - vom 6. September 2013

Quelle: http://www.martin-buchholz.de/



Der Offene Runde Tisch Zeitz, ORTZ


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